Monat: Januar 2007

El Calafate

Es bringt nicht viel, in der Steppe eine Stadt zu bauen. Irgendwie bleibt die Steppe der Sieger. Alles ein wenig braun, gelb, grau, vertrocknet, windig. Aber die Bewohner von El Calafate kämpfen hartnäckig. Es gibt eine Allee mit Pappeln, einen kleinen Park um die Zentrale für den Nationalpark. Dort findet man nicht nur wichtige Exemplare der Flora, sondern auch allerlei verrostete Maschinen, die irgendetwas mit der Geschichte der Region zu tun haben, u.a. zwei heruntergekommene alte Zapfsäulen, die mitten auf der Wiese stehen. Die Gastronomie ist gut und es wimmelt von Souvenirläden. Aber keine Stadt, in der man gleich ganze Tage schlendernd verbringen möchte.

el-calafate.jpg …der aufregende Blick auf El Calafate …

So musste ich meine zwei Süßen nur ein bisschen überreden, nach der etwas in die Länge gezogenen Anreise hierher noch einen Ausflug zu machen. Eigentlich war beiden eher nach einem Gammeltag zumute, den es dafür heute geben wird.

Dann aber saßen wir im Bus zu dem ca. 80 km entfernten Gletscher Perito Moreno. Das war dann ein wirklich tolles Erlebnis. Der ist nämlich riesengroß, irre blau und kalbt ständig.

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Immerzu hört man das Eis beängstigend knirschen und knacken. Zunächst gibt es ein Geräusch wie einen Gewehrschuss, dann donnern mehr oder weniger große Eismassen in den See vor der Gletscherzunge.

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Wasserfontänen schießen in die Luft, der See brodelt, dann ist wieder nur das Rauschen des Baches zu hören, der aus dem Mundloch quillt. Das kann man sich von verschiedenen Aussichtsplattformen immer wieder anschauen und Simon war begeistert.

Heute fliegen wir nach Bariloche, um von dort die Anden „mit dem Boot zu überqueren“, was über mehrere Seen führt und uns wieder nach Chile bringen wird.

Torres del Paine

23.01.2007 Uns drohen drei Tage Regen. Das ist bitter, denn auch unser letzter Tag in Puerto Natales war ein Regentag. Den verbrachten wir u.a. damit, herauszubekommen, wo unser Bus abfährt. Das erforderte etwa eine halbe Stunde lang diverse Telefonate, denn unser Reisebüro hatte ein Reisebüro in Santiago de Chile mit der Organisation beauftragt, dieses wieder ein anderes Reisebüro, dieses wieder eines in Puerto Natales und dieses schließlich dann eine hiesige Busgesellschaft. In dieser Kette war mein Name irgendwie durcheinandergeraten und der chilenischen Schreibweise folgend irgendwann mein Vorname zum Nachnamen gemacht. Glücklicherweise telefonierte sich die junge Frau an der Rezeption unseres Hotels durch alle Instanzen, zwischendurch diverse Rückrufe abwartend. Am Ende wurde die richtige Busgesellschaft identifiziert, die sich auch für zuständig erklärte und uns nachmittags sogar am Hotel abholte.

So trabten wir erst gegen 11.00 h los zu der gestern gefundenen Druckerei. Unser Interviewpartner war angenehm und freundlich. Ich konnte in der Werkstatt fotografieren, während Claudia arbeitete und Simon mp3-Hörspiele hörte. Herr Uteau Vergara – ein alter Kämpfer gegen Pinochet – beschwor die regionale Identität der Magellaneser – so könnte man die Bezeichnung übersetzen, die uns des öfteren als Begriff für die im Umfeld der Magellan-Straße lebenden Menschen begegnete. Die Leute seien trotz des widrigen Klimas sehr bodenständig. Wer auswandert, kommt irgendwann zurück. Wer als Fremder einmal von der Calafate-Beere ißt, kommt wieder … Ein kleiner verregneter Stadtbummel folgte. Immerhin gab es in der 11.000-Seelen-Gemeinde die von mir gesuchten CD-Hüllen und gefütterte Couverts für die Übersendung der Datensicherungen nach Deutschland. In den nunmehr vergangenen drei Wochen habe ich bereits drei DVDs mit Fotos und Audiotracks produziert, also fast 15 GB. Puerto Natales hat in jedem Jahr einen dreimonatigen Tourismusboom, dann versinkt alles wieder in provinzielle Starre – so berichtete uns die Mutter von Kevin, unserer gestrigen Bus-Bekanntschaft. Sie ist eigentlich Lehrerin und arbeitet jetzt in der Saison als Kellnerin bei einer Freundin, die ein Restaurant mit deutsch-chilenischer Küche betreibt. Das kleine Städtchen besteht ganz aus barackenartigen Gebäuden, die selten mehr als ein Geschoss und nie Keller haben. Aber anders als in Punta Arena haben die Häuschen gepflegte Vorgärten, an jeder Straße gibt es Grünstreifen zwischen Fahrbahn und Fußweg, es wachsen zahlreiche Bäume, die wir oft nicht bestimmen konnten. Jeder im Ort betreibt irgendwie Läden für touristischen Bedarf, für Trecking-Touren, Internet-Cafes und diverse Gastronomie. In der Stadt wimmelt es von Rucksacktouristen aller Nationen, die von hier aus Torres del Paine erreichen wollen. Internationale Küche war unsere Idee. Aber in dem von Chilenen geführten chinesischen Restaurant schmeckten die Frühlingsrollen, als wären sie mit Sauerkraut gefüllt. Ein kulinarischer Reinfall. Im strömenden Regen fuhren wir mit dem Bus los, der uns in den Nationalpark bringen sollte. Unsere Gesellschaft hatte kaum einen gewöhnlichen Passagier vorzuweisen, auch die mitreisenden Chilenen waren Touristen. Nach einigen Kilometern betonierter Straße bretterte der Bus mit beschlagenen Scheiben über Schotterpisten. Immer wieder wischte ich, aber von draußen war nicht viel zu erkennen. Vernebelte Hügel. Einige Büsche, kaum Bäume, Sturzbäche vom Regen. Das blieb so bis zur Ankunft am Kontrollposten des Nationalparkes. Dort war ein nicht geringes Eintrittsgeld zu entrichten und es wurde für jeden eine Art Passierschein ausgestellt. Wir stiegen in einen hoteleigenen Kleinbus um, dessen Fahrer nicht minder rasant durch die Pfützen und über schmale Holzbrücken fuhr. Ein Fluss hat eine breite Ebene in Hügel und Berge gewaschen, diese wiederum zerfurcht. Und obwohl wir nicht einmal 130 m über dem Meeresspiegel erreicht hatten, bleiben Bäume immer noch die Ausnahme. Gleichwohl sahen wir Guanakos, Flamingos und Magellangänse. Aber gegen 17.00 h erreichten wir ein Hotel mit allem erdenklichen Komfort (außer Internet, denn es gibt nur eine Satellitenverbindung für das Telefon), die „Hosteria las Torres“. Den Abend nutzten wir noch für einen kleinen Spaziergang im Regen, wobei wir außer Wolken kaum etwas sahen. Dann wurden wir noch zu einem Diavortrag eingeladen. Der entpuppte sich jedoch als Werbeveranstaltung für diverse geführte Touren – fast alle mit Strecken zu Pferde, also nix für uns, denn Claudias Pferdeallergie lässt es nicht einmal zu, dass Simon und ich mit pferdeverseuchten Klamotten wieder das gemeinsame Zimmer betreten. Die wichtigste Botschaft des Abends: Es gab in der vergangenen Woche immerzu schönes Wetter, so dass jetzt mit mindestens drei weiteren Regentagen zu rechnen ist. 24.01.07 Doch als ich am Morgen erwachte, war immerhin so etwas wie eine Sonne hinter den Wolken auszumachen. Also nahmen wir uns eine nicht allzu heftige Strecke vor und packten alles ein, was einen verregneten Tag erträglicher machen könnte. Es regnete tatsächlich. Aber nur fünf Minuten. Ansonsten gewann die Sonne immer mehr die Oberhand und als wir gegen Mittag in einer Berghütte anlangten, hatten wir sogar freie Sicht auf die von der Sonne angestrahlten „Torres“, ca. 2.500 m hohe Felsentürme, die die eigentliche Attraktion des Nationalparkes darstellen. hotel-las-torres.jpg Die Hosteria las Torres

Am Nachmittag war die Fernsicht ob der klaren Luft geradezu atemberaubend. Zeit für ein paar kleine Aquarelle.

lago-norskjold.jpg Simon hat die siebenstündige Wanderung hervorragend verkraftet. Ihm wurde wieder die Rolle des Bergführers zugedacht, der „gefährliche Stellen“ rechtzeitig erkennen musste, bergauf habe ich Witze erzählen müssen. Er hatte beste Laune und lief, ohne zu murren. Unter den Kellnern hat er sofort einen Freund gefunden. Mit der ständigen Aufmerksamkeit kommt er inzwischen etwas besser klar. 25.01.07 Ich sitze an dem immer noch glimmenden Kaminfeuer und draußen strahlt die Sonne ohne Unterlass durch die Schäfchenwolken. So beginnt unser zweiter Tag. Heute wollen wir ebenfalls wandern. Während es gestern durch ein immer schmaler werdendes Tal bergauf zur Hütte „Chilenos“ ging, wollen wir heute den Weg an einem See entlang nehmen. Den gestrigen Abend haben wir mit einem allein reisenden Ex-Unternehmer verbracht, den wir seit der Schiffsreise immer wieder treffen. Das gesamte Hotel wird mit Holz beheizt. Strom gibt es aus dem Dieselaggregat, das nachts abgeschaltet wird. Die Zimmer sind jeweils um Räume mit einem großen Kamin gruppiert. Alles ist recht gut in die Landschaft eingepasst. Und natürlich treffen wir hier wieder überwiegend auf ältere Semester. Junge Leute ziehen die preiswerteren Campingplätze oder einfache Hütten mit Schlafsälen vor. Merkwürdig ist die hiesige Vegetation. Obwohl das Hotel gerade einmal 130 m über NN liegt, also etwa so hoch wie Berlin, ist alles sehr karg bewachsen. Eigentlich eine Hochgebirgslandschaft. Vor einigen Jahren soll es hier verheerende Waldbrände gegeben haben. Es gibt große Erosionsflächen mit feinem schwarzen Splitt. Erst in höheren Regionen trifft man auf Bäume, nicht jedoch Nadelgehölze, sondern eine heimische Art, die uns schon in der Nähe von Kap Horn begegnet ist und die bis zu 300 Jahre alt werden kann, mit winzigen Laubblättern sehr langsam in bizarren Formen wachsend. 26.01.07 Der gestrige Weg zum „Inge-See“ und dann entlang des Lago Norskjöld war recht entspannt. Für Simon gab es einige Premieren: aus Steinen einen provisorischen Steg über einen Bach bauen, durch einen eiskalten Bach hindurchwaten, nackt in einem kleinen Gebirgssee baden (zumindest bis über die Knie war er im Wasser) und zu guter letzt noch einen kleinen Bach „umleiten“.

Wir waren wieder mehr als sieben Stunden unterwegs, haben einige Pausen gemacht. Simon hat gemalt, ist auf Bäume geklettert und wir haben viel Naturbeobachtung betrieben: Schmetterlinge, Orchideen, Beeren, Vögel, sogar ein Condor-Paar haben wir weit oben kreisen sehen, winzige Punkte, die sich von den Wolken abhoben. Auch einen Bach, der einfach so in seinem Kiesbett verschwand, um dann nach ca. 50 m als Quelle wieder aufzutauchen, haben wir gesehen.

sedimente-im-torres-park.jpg Den ganzen Tag hat die Sonne geschienen. Glück, vielleicht gibt es davon noch mehr, denn Claudia fand auf dem Rückweg ein verlorenes Hufeisen. Am Nachmittag plagten uns einige heftige Heuschnupfenattacken, denn trockener Wind strich über die Wiesen. Zum Abschluss haben wir uns abends noch das hier recht teure Vergnügen eines vernünftigen Essens gegönnt. Heute morgen ist der Himmel wieder bedeckt. Uns steht die Weiterreise nach El Calafate in Argentinien bevor. 27.01.07

Gestern – natürlich wieder bei bestem Sonnenschein – konnte ich endlich mein Versprechen erfüllen und mit Simon an einem kleinen Bach in der Nähe eine Wassermühle bauen. Das Hauptproblem war das Finden geeigneten Holzes. Dann musste natürlich noch der Bach an der richtigen Stelle gestaut werden, eine für Simon aufregende und nicht ganz trockene Angelegenheit.

wassermuhle.jpg Am Nachmittag dann Abfahrt zu einem Sammelpunkt am Eingang zum Nationalpark. Dort hatten wir dann planmäßig eineinhalb Stunden auf den Bus nach El Calafate zu warten. Der könne aber durchaus auch mal eine halbe Stunde später kommen, so eine Rangerin. Wir lagen auf einer Wiese in der Sonne. Es gab Guanakos und Condore zu beobachten, Simon hat MP3 gehört und ich etwas gemalt. Bei jeder Staubwolke am Horizont gespannte Aufmerksamkeit, aber der Bus kam nicht. Dann, etwa eine Stunde nach der geplanten Abfahrtszeit, sprach Claudia noch einmal mit einer Kioskverkäuferin: „Ja, es kommt gar kein normaler Bus, und Sie schauen auch in die verkehrte Richtung, Sie fahren mit einem Kleinbus, der aus dem Park kommt.“ Da waren wir baff, denn solche kleinen Busse waren zu Hauf an uns vorbeigefahren. Wir räumten unser Gepäck sofort näher an die staubige Straße und stürzten aufgeregt zu allen gerade haltenden kleineren Busse – und siehe da, es war unserer mit dabei. Erleichtert fuhren wir los, vorbei am Lago Azuro, einem wirklich heftig blauen See mit wunderbarem Panorama, den wir auf der Hinfahrt im strömenden Regen gar nicht gesehen hatten. Der Bus hielt sogar für ein kleines fotoshooting. Wir passierte El Castillo, eine Felsformation, die wie eine Festung aussieht und natürlich dieses unendliche Gelb, das nicht enden wollende Blau und eine Wolkendecke, unter der man entlang fuhr wie unter einem Spiegel. Ich konnte mich nicht satt sehen, Simon hat gepennt.

Für Claudia war die Landschaft öde: kein Mensch, kein Baum, kein Haus, nichts. Es gibt Strecken, die sind so flach, dass man im Geist eine riesige göttliche Planierraupe sieht. Dann wieder Kanten im Gelände, so verblüffend horizontal und gerade, dass man sie für eine Bahndamm halten könnte. Jeder herumliegende Findling wird zum Ereignis in dieser merkwürdig aufgeräumten Welt. Nur das Wasser gestaltet hier mit einer unerbittlichen Erosion, indem es Gräben und Täler in die endlose Platte schneidet. Die Luft ist ungeheuer klar, so dass alles unwirklich aussieht. Die Wolkenhorizonte staffeln sich ohne aufzuhören. Ich habe eine Calalfate-Beere gegessen …

blick-auf-die-torre-patagon.jpg An der Grenze zu Argentinien waren wieder Formulare auszufüllen. Unser Bus hielt in einer trostlosen Grenzstation, wie sie für eine Western-Kulisse durchaus taugen würde. Unser Gepäck wurde einfach über die Grenzmauer nach Argentinien in den dort wartenden Reisebus getragen, in den wir umstiegen. grenze-chile.jpg

…an der Staatsgrenze …

Uns erwarteten noch ein nicht enden wollender Sonnenuntergang, dann ab 22.00 h ein schöner Halbmond. Am Abend sahen wir erneut die Kulisse der „Torres“, denn wir waren um nach El Calafate zu gelangen, einen riesigen Haken gefahren – so ist es nun einmal das südamerikanische Straßennetz. Gegen 23.30 h stiegen wir endlich ins Bett und unser Simon war gut gelaunt und putzmunter :-/ Und das ist der Blick aus unserem Hotelzimmer auf El Calafate.

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