Monat: August 2012

Von Bukarest nach Budapest

 

Wir wollen nicht unfair sein und Bukarest auch mal ordentlich loben. Am letzten Abend unseres Aufenthaltes haben wir die Altstadt besucht. Dort hat sich eine gigantische Kneipenmeile entwickelt. Zu Abend haben wir in einer historischen Brauereikneipe gegessen. Der Hit: drinnen wurde heftigster Volkstanz zelebriert. Die Musik kam vom Band, aber der kostümierten Profitanzgruppe gelang es sehr schnell, Leute aus dem Publikum zum Mittanzen zu bewegen. Alles wieder sehr laut, sehr schnell.

 

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In den Gassen reiht sich eine Kneipe an die andere. Die Tische auf der Straße sind so dicht gepackt, dass man sich geradezu hindurch schlängeln muss. Alles ist in ausgelassener Stimmung. Bunte Lichter wohin man schaut.

 

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 Am nächsten Morgen zeigt sich das Viertel dann deutlich nüchterner. Oft sind nur die Erdgeschosse für die Gastronomie saniert. Darüber der übliche Verfall, Baulücken aber auch zahlreiche Baustellen. Die Tische sind noch an den Seiten gestapelt. Doch bereits ab 10 füllen sich die Cafes erneut.

 

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Interessant war unser Besuch in einer alten Karawanserei. Das ist ein riesiger Hof, umgeben von Balustraden, in dem früher die Händler Station machen konnten. Dort gab es Quartiere, Lagerräume und Ställe. Die Händler verschiedener Regionen hatten jeweils ihre eigenen Karawansereien. Wenn man durch die „Leipziger Straße“ geht, ahnt man, welchen Rang Bukarest im Ost-West-Handel einmal hatte.

 

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Von dieser Internationalität ist aber in manchen Köpfen nicht mehr viel übrig. Ein Gespräch mit dem Portier unseres Hotels, Mitte zwanzig, nahm etwa folgenden Verlauf: „Sie wollen das Holocaust-Denkmal fotografieren? Das ist ein Skandal, da war früher mal ein Park. Und die Juden hätten das Denkmal ruhig selber bezahlen können.“ Ich:“ Ja, vor allem die ermordeten Juden.“ Er:“ Aber die Juden beherrschen ja die Welt, sie sind reich!“ Und dann ging es weiter in diesem Tenor: Die Roma gehören alle erschossen, Hitler war gar nicht so schlecht, Europa würde ein neuer Krieg durchaus gut tun, Bulgaren und Ungarn sind schlecht…. Unglaublich. Und der Hammer: der junge Mann ist Sohn eines Priesters. Aber natürlich längst aus der Kirche ausgetreten. Neben der erschütternden gab es noch eine vielleicht ganz interessante Information aus diesem Gespräch, die es natürlich angesichts des Geisteszustandes dieses Mannes noch zu verifizieren gilt: der Mann behauptete, die Orthodoxe Kirche sei inzwischen ein Staat im Staate. Für jede noch so kleine Seelendienstleistung müsse bezahlt werden. Die Priester, die oft privat kassieren, seien die reichsten Menschen des Landes. Und da für die Priester kein Zölibat gilt, gebe es keine Spur von Nachwuchsmangel.

 

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Das Holocaust-Mahnmal in Bukarest.

 

Dass die Kirche über enorme Macht verfügt, kann ich mir gut vorstellen. Nicht nur die zahllosen sanierten oder neu gebauten Kirchen lassen das vermuten (Teilweise dachten wir, es gäbe in den rumänischen Baumärkten so etwas die einen Dorfkirchenbausatz aus Betonfertigteilen). Auf dem riesigen Areal des Parlamentspalastes wurde mit dem Bau der angeblich größten Orthodoxen Kirche des Landes begonnen.

 

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Die Fundamente sind fast fertig und neben der Baustelle steht ein nicht gerade kleines hölzernes Provisorium.

 

Das sahen wir, als wir dem Museum für zeitgenössische Kunst einen Besuch abstatteten. Dieses ist als einziges modernes Element in die Westseite des Palastes eingelassen und präsentiert wechselnde Ausstellungen. Von der Terrasse des Cafes hat man einen weiten Blick auf das Bukarester Häusermeer.

 

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Katastrophal ist jedoch die Erreichbarkeit des Museums. Die nächste Bushaltestelle ist 400 m vom Eingang (dem einzigen) entfernt. Taxis dürfen nicht direkt bis zum Museum fahren, weil es auf dem Parlamentsgelände liegt. Streng bewachte Kunst und ob der Moderne möglicherweise etwas auf Distanz zum Volke gehalten. So unser Eindruck.

 

 

Nach Budapest haben wir den Nachtzug genommen. Liegewagen im Viererabteil. Und wir hatten Glück mit der Besetzung, denn mit uns fuhr Steen, ein farbigen Mitvierziger aus dem USA, geboren in Trinidad. Ein weltgewandter sehr sympatischer Mann, der bei der Armee als Zivilbeschäftigter arbeitet und in seinem Leben bereits einiges gesehen hat, u.a. Afghanistan und Kirkistan. Mit Steen, ebenfalls Interrailer haben wir uns sehr angenehm unterhalten. Ein Obama-Fan, mit dem wir uns möglicherweise noch einmal treffen werden, wenn er während seiner Reise in Berlin ist.

 

 

In Budapest bezogen wir Quartier im alten, und man kann glücklicherweise fast wieder sagen – neuen – jüdischen Viertel, nicht weit vom Bahnhof entfernt. Dieses Viertel war unsere Entdeckung im vergangenen Jahr, als wir die frisch restaurierte große Synagoge besucht haben.

 

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Seit dem hat das Quartier einen bemerkenswerten Sprung nach vorn gemacht. Zahllos Kneipen, Clubs, Cafes und Restaurants haben eröffnet, schicke kleine Boutiquen. Von koscher bis erotisch ist alles vertreten.

 

Eine weitere Synagoge, die wir im vergangenen Jahr noch verfallen und verriegelt antrafen, wir gerade aufwändig saniert.

 

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Als wir gegen 14.00 h unser Hotelzimmer beziehen konnten und uns frisch geduscht etwas hingelegt hatten, gab es noch ein besonderes Erlebnis: einen Feueralarm. In der 2. Etage (wir waren in der 4.) brennt ein Zimmer, erfuhren wir nach einer weile von den Nachbarn auf den Balkonen. Draußen auf der Straße totale Bambule, aufgeregte Massen. Im Flur roch es nach verbranntem Kunststoff. Zwar hatte ich den Feueralarm im Halbschlaf gehört, aber im Hotel blieb es merkwürdig ruhig. Keiner klopfte an unsere Tür, kein Lärm auf den Fluren.

 

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So blieben wir denn halbwegs entspannt auf unserer Loge stehen und wurden etwas ruhiger, als nach einer gewissen Zeit die an die Hydranten abgeschlossenen Schläuche immer noch schlaff waren. Offenbar ein Kabelbrand, der ohne großen Aufwand bekämpft werden konnte. Und tatsächlich war nach einer halben Stunde alles vorbei.

 

Claudia und Simon sind in der Nachmittagsglut auf dem Hotelzimmer geblieben. Mir hat das quirlige Budapester Straßenleben keine Ruhe gelassen und ich bin – zum letzten mal während dieser Reise – mit der Kamera losgezogen um einige Eindrücke einzufangen.

 

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Dann noch ein gemeinsamer Spaziergang in der Dämmerung. ein kleiner Forintvernichterabsacker, und nun sitzen wir bereits im Zug nach Berlin. Tschüss, liebe Leser. Jetzt kommt als letzter Beitrag der Versuch eines Fazits. Wieder mal. Siehe oben in der Menüleiste.

 

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Bukarest die 2.

Ceaucescu beherrscht immer wieder unsere Gespräche. Gestern Abend saßen wir noch lange in einem Biergarten mit Kolleginnen und Kollegen von Claudia. Den Ausgang des Referendums und dessen Folgen haben wir diskutiert. Und plötzlich stellt sich heraus, dass einer unserer Bekannten schon mal ein Interview mit dem Henker Ceaucescus geführt hat. Wir erfuhren einige Details über den Tod dieses skurrilen Diktators. Vor allem aber bekamen wir einige Insidertipps für unseren heutigen Tag.

 

 

Auf dem Weg zu unserem ersten Ziel habe ich noch einige Aufnahmen gemacht von der merkwürdigen Stadtlandschaft Bukarests. Ähnlich wie in Iasi geht es kunterbunt durcheinander mit Baustilen und Dimensionen.

 

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Aber offenbar hat es nie Bombardements und Zerstörungen solchen Ausmaßes gegeben, die zum homogenen Neubau ganzer Viertel geführt haben, sieht man einmal vom großen Erdbeben in den 70iger Jahren und des Diktators Abrissbirnenwahn ab. So stehen inmitten großer Blocks aus den 30iger und 50iger Jahren noch pittoreske Villen aus dem vorvorigen Jahrhundert.

 

 

Jetzt erst mal einen Blick auf den Balkon, auf dem Ceaucescus letzte Stunden begannen, mit dem berühmten Kameraschwenk auf das NICHT jubelnde Volk. Davor die Säule ist das Denkmal für die Opfer der Revolution. Die Täter, vor allem die, die unmittelbar für den Tod der mehr als 1.000 Opfer verantwortlich sind, wurden bisher kaum behelligt.

 

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Neben dem Volkspalast hat Bukarest noch den Königspalast zu bieten,

 

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eine sehr schöne Oper

 

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und dann eben noch einen Geheimtipp. Ein kulturvoller Architekt hat nach der Rückübertragung des Eigentums an einer alten Villa keine Kneipe oder keine Edelkanzlei dort untergebracht, sondern einen riesigen Buchladen mit Büchern aus aller Welt und Beispielen modernen rumänischen Designs, moderner Graphik und einem sehr guten Cafe, welches zugleich Galerie ist.

 

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Und dann waren wir noch bei einem Hungerzirkus. So hießen die riesigen runden Markthallen, die Ceaucescu überall im Land bauen ließ, als es in den Kaufhallen nichts mehr zu essen gab. Jetzt bedindet sich in diesem Gebäude eine Shopping-Mall.

 

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Zurück zum Hotel haben wir die Straßenbahn (ungeheuer langsam) und die Metro benutzt.

 

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Die Metro hat offenbar einen direkten Anschluss nach New York.

 

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