Warum kam mir heute Beirut in den Sinn? Weil ich mir vorstellen könnte, dass eine einst blühende Stadt einige Jahre nach einem Bürgerkrieg so aussieht wie Constanta.

 

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Noch an keinem anderen Ort in Rumänien hat mich die schiere Masse an verfallenen Gebäuden, unverschämten Investruinen und Baulücken so geschockt. Die nachfolgenden Bilder entstanden nicht am Rande eines aufgegebenen Industriegebietes am Stadtrand, sondern mitten in der Altstadt.

 

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Gleichwohl ist die Stadt eine ganz typische Hafenstadt mit edler neuer Marina für Yachten aller Klassen, schrägen Typen aller Art, Spuren zahlloser Kulturen und Religionen.

 

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Unser mondänes Hotel sieht nur von Weitem gut aus: fehlender Putz, freiliegender Armierungsstahl am Balkon wurden einfach weiß übertüncht.

 

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Noch schlimmer hat es das alte Casino getroffen. Vieles ist seit 1910 nicht verändert worden, aber vieles ist dem Verfall preisgegeben. Dilettantische Sanierungsversuche blieben auf halbem Wege stecken. Tauben nisten über dem großen Kronleuchter. Wie zum Hohn ist das Gebäude zur täglichen kostenlosen Besichtigung geöffnet.

 

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Vergleicht man Constanta mit Tallinn oder Riga, Hafenstädten ähnlicher Größe, kommen viele Fragen auf.

 

 

Auf der Mole komme ich mit einem jungen Mann ins Gespräch. Er war Kraftfahrer in einer großen Spedition. 25 Kollegen wurden gefeuert. Bleiben durfte, wer Schmiergeld an den Abteilungsleiter zahlte. Endlich mal nicht die Roma als Hauptproblem des Landes.

 

 

Ja, die ausufernde Korruption hat mir das Land schon vor 30 Jahren so vergällt, dass ich es nie in meine Tramptouren einbezogen hatte. Dramatisch, wie lange das die Kultur eines Landes vergiftet. Das kommt zusammen mit dem völligen Verlust einer Stadtplanung. Der feuerlöschende Bauingenieur aus Galati erklärte, jeder Versuch, planvolles Bauen in den Städten durchzusetzen, wurde in den Jahren nach der rumänischen Wende sofort als „Fortsetzung des Sozialismus“ diffamiert. Kommt mir bekannt vor. Auch in Jena habe ich in den Nachwendejahren ab und zu hören müssen, dass strenge Bebauungspläne oder die Ausweisung von Sanierungsgebieten ja Arbeitsplätze verhindern, in die Eigentumsrechte eingreifen würden usw.

 

 

In Constanta sieht das Ergebnis dieser Jahre deprimierend aus. Ab und zu gewinnt man den Eindruck, dass kapitalistischer Wahnwitz – Bauen ohne gesicherte Finanzierung, Bauen vorbei am eigentlichen Bedarf – hier besonders tiefe Spuren hinterlassen hat. Vielleicht leidet Constanta aber einfach immer noch unter der Politik der Ceaucescu-Zeit, die ohne Rücksicht auf infrastrukturelle Folgen entlang der Schwarzmeerküste Kunstsiedlungen mit Bettenburgen hin ballerte und damit den gewachsenen städtischen Strukturen das Blut aus den Adern nahm.

 

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