Gehöft in Snipiskes

Gehöft in Snipiskes

Klein-Shanghai besteht vor allem aus Holzhäusern. Die meisten sind nicht an die Kanalisation angeschlossen. Wasser gibt es oft nur aus der Pumpe. Hier, mitten in Vilnius, ist die Kriminalitätsrate mit am höchsten. Nur wenige Neubauten haben sich zwischen die teils sehr kreativ erweiterten historischen Häuser gemogelt. Die augenfälligsten Neubauten stehen am Rand des Areals wie eine futuristische Drohung. Es sind die Glasfassaden des Businesscenters mit 33 Etagen und das neue Haus der Stadtverwaltung von Vilnius.

Neubauten am Rande von Snipiskes

Neubauten am Rande von Snipiskes

Noch vor wenigen Jahren brannte es in Snipiskes – so der offizielle Name des Quartiers – regelmäßig. Das war die billigste Methode zur Umgehung von Denkmalschutz und Abrisskosten. Dann setzte die Wirtschaftskrise ein und seit 2008 brennt es nur noch, wenn jemand im Rausch mit Zigarette eingeschlafen ist.

Vorgarten in Snipiskes

Vorgarten in Snipiskes

Die Gärten vermitteln eine Idylle, die ein wenig fragwürdig erscheint. Stünde das Quartier in Berlin, wäre es über kurz oder lang von Künstlern, wenig später gewiss auch von jungen Familien okkupiert. Doch weit und breit kein Spielplatz, kein Cafe. Gerade einmal eine Fahrradwerkstatt beflügelt die lokale Wirtschaft.

Fahrradladen in Snipiskes

Fahrradladen in Snipiskes

Woher kommt der Stillstand, einen Katzensprung von der historischen Altstadt und dem neuen Businesscenter entfernt?

Die Ursachen sind vielfältig. Die gegenwärtige soziale Mischung – hier wohnen überwiegend ärmere Menschen, Pensionäre und ein nicht geringer Anteil an Alkohol- und Drogenabhängigen – ist für die Mittelschicht nicht wirklich attraktiv. Die Kreativen haben – gleich neben der Kunsthochschule – zunächst einmal Uzupis für sich entdeckt. Ein ehemals heruntergekommenes Quartier, in dem jetzt der Bürgermeister wohnt, der – so wird erzählt – inzwischen einen beachtlichen Teil der Grundstücke erworben hat.

Eric Pawlitzky Snipiskes-7

Einen Grund für das Desinteresse der Investoren an Snipiskes scheinen aber auch Unsicherheiten in der Planung für das Viertel zu liefern. Die Stadt erwägt eine weitere Brücke über den Ner. Diese wird in eine neue Nord-Süd-Verbindung münden, welche Snipiskes durchqueren und auch Raum für eine Straßenbahn schaffen soll. Die einzige asphaltierte Straße des Quartiers würde wohl vor einer drastischen Verbreiterung stehen.

Die Chefin der Planungsbehörde von Vilnius spricht von einer notwendigen Verdichtung des Quartiers. Mehrgeschossige Neubauten sollen entstehen. Mit der neuen Querung der Stadt will man die wachsenden Pendlerströme aus dem Umland und den neu entstandenen Suburbs bewältigen. Tatsächlich steht in der Stadtverwaltung ein Modell, auf dem der größte Teil der grünen Siedlung von merkwürdigen Quadern verdrängt ist.

Modell zur Stadtplanung von Vilnius

Modell zur Stadtplanung von Vilnius

Doch wozu Verdichtung einer grünen Oase, wenn Litauen fast 15% seiner Bevölkerung durch Auswanderung verloren hat? Und was passiert mit der Geschichte dieses Viertels, die wie eine offene Wunde für die ethnischen Wirren Litauens steht? Noch leben dort Russen, Polen, Sinti und Roma und natürlich auch Litauer in einem bunten Nebeneinander.

Die Chefin der städtischen Planungsbehörde sieht ihre Aufgabe darin, die Rahmenbedingungen für Investitionen in der Stadt möglichst optimal zu gestalten.

 

Jekaterina

Jekaterina

Jekaterina, Assistentin an der Fachhochschule von Vilnius, versucht etwas anderes. Mit Infotafeln für verschiedene kulturelle Aktivitäten, mit Kunstaktionen und einem Fest für die Bürger hat sie versucht, die lokale Identität von Snipiskes zu beflügeln. Das ist ihr auch gelungen. Als sie herumtelefoniert, um Interviewpartner zu finden, kann man erleben, wie gut sie im Viertel vernetzt ist. Und sie wurde auf Initiative der Stadtverwaltung sogar zu dem Gespräch im Planungsamt eingeladen.

 

Die Bürger selbst sehen die aktuelle Situation sehr differenziert. Manch einer wartet auf die Spekulanten um sein heruntergekommenes Holzhäuschen schnell zu versilbern. Auch ein Straßenbauprojekt der Stadt könnte für einige diesen Effekt haben. Doch für die meisten der Einwohner ist es schlicht nicht bezahlbar, das eigene Grundstück an die Kanalisation anzuschließen, die Häuser behutsam zu sanieren. Irina (?) steht aufgeregt vor ihrem Haus und schimpft. „Ja, ich habe meine Wohnung gut hergerichtet. Aber im Erdgeschoss unseres Hauses wurde eine Wohnung privatisiert, die seit dem leer steht. Nur Ratten sind dort eingezogen. Alles verfällt und bald wird auch meine Wohnung nichts mehr wert sein.“

Eric Pawlitzky Snipiskes-14

So weitsichtige wie Ausra. Übersetzerin von Beruf, sind nur Wenige. Sie hat hier 1997 sehr günstig eine kleine Wohnung gekauft, die sie Schritt für Schritt zu einem komfortablen Heim ausgebaut hat. Sie setzt auf langfristig kostengünstiges, ruhies Wohnen. Bleibt zu hoffen, dass sie recht behält.

Eric Pawlitzky Snipiskes-20