Monat: Juli 2012

Constanta 2

 

 

Wir wollen ja Rumänien nicht immer nur in Bildern des Verfalls darstellen. Aber Constanta provoziert einfach die Darstellung morbiden Charmes. Den gibt es bis zurück zur Römerzeit.

 

 

 

Simon ging es heute wieder besser, so dass wir die berühmten römischen Mosaiken und zahlreiche in der Gegend gefundene Sarkophage und Säulenkapitelle betrachten konnten. Leider alles schon zig-mal fotografiert.

 

 

 

Ich komme jetzt auch nicht mit Bildern aus dem archäologischen Museum, welches gerade mit dem Beginn des 20. Jahrhundert endet und nichts zur Zeit des 2. Weltkrieges oder gar der Ceaucescu-Ära sagt. Dabei hätte es mich sehr interessiert, wie weit die Rumänen mit der Aufarbeitung der jüngeren Geschichte sind, wie sie zur Rolle des eigenen Volkes im Holocaust stehen.

 

 

 

Letzteres eine interessante Frage, denn bei meinem heutigen Morgenspaziergang stieß ich zufällig auf eine wunderschöne, aber leider völlig verfallene Synagoge. Das Gebäude aus dem 19. Jahrhundert fand ich in einer Nebengasse (die interessieren mich sowieso immer mehr als die Boulevards).

 

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An den Eingang der Synagoge grenzt ein Gehöft, in dem mehr als 10 Hunde wild herumkläfften. Plötzlich kam eine ältere Dame, die die Hunde verscheuchte und mich einließ. Ich stieg über Berge von Schutt und Taubendreck und fand mich an einem Ort wieder, wie er verwunschener nicht sein koennte. Aber natürlich auch sehr bestürzend, wenn man bedenkt, dass nicht einmal das Dach dieser Ruine gesichert war.

 

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Doch auch dem Gott des Glücksspiels wird nicht mehr wie früher gefrönt. Denn das beeindruckende Casino hat uns heute zu einem erneuten Besuch animiert. Etwa eine Stunde habe ich im Inneren fotografierend zugebracht. Aber hier zeige ich nur eine kleine Auswahl der Bilder. Die sind einfach zu scharf für Euch…

 

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Auch habe ich der Gerechtigkeit willen heute der Fußgängerzone noch einen Besuch abgestattet. Ich sage Euch: das Aufregendste waren noch die Security-Fritzen, die zu viert angestürmt kamen, weil im Nagelstudio die Alarmanlage ausgelöst hatte.

 

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Constanta

Warum kam mir heute Beirut in den Sinn? Weil ich mir vorstellen könnte, dass eine einst blühende Stadt einige Jahre nach einem Bürgerkrieg so aussieht wie Constanta.

 

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Noch an keinem anderen Ort in Rumänien hat mich die schiere Masse an verfallenen Gebäuden, unverschämten Investruinen und Baulücken so geschockt. Die nachfolgenden Bilder entstanden nicht am Rande eines aufgegebenen Industriegebietes am Stadtrand, sondern mitten in der Altstadt.

 

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Gleichwohl ist die Stadt eine ganz typische Hafenstadt mit edler neuer Marina für Yachten aller Klassen, schrägen Typen aller Art, Spuren zahlloser Kulturen und Religionen.

 

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Unser mondänes Hotel sieht nur von Weitem gut aus: fehlender Putz, freiliegender Armierungsstahl am Balkon wurden einfach weiß übertüncht.

 

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Noch schlimmer hat es das alte Casino getroffen. Vieles ist seit 1910 nicht verändert worden, aber vieles ist dem Verfall preisgegeben. Dilettantische Sanierungsversuche blieben auf halbem Wege stecken. Tauben nisten über dem großen Kronleuchter. Wie zum Hohn ist das Gebäude zur täglichen kostenlosen Besichtigung geöffnet.

 

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Vergleicht man Constanta mit Tallinn oder Riga, Hafenstädten ähnlicher Größe, kommen viele Fragen auf.

 

 

Auf der Mole komme ich mit einem jungen Mann ins Gespräch. Er war Kraftfahrer in einer großen Spedition. 25 Kollegen wurden gefeuert. Bleiben durfte, wer Schmiergeld an den Abteilungsleiter zahlte. Endlich mal nicht die Roma als Hauptproblem des Landes.

 

 

Ja, die ausufernde Korruption hat mir das Land schon vor 30 Jahren so vergällt, dass ich es nie in meine Tramptouren einbezogen hatte. Dramatisch, wie lange das die Kultur eines Landes vergiftet. Das kommt zusammen mit dem völligen Verlust einer Stadtplanung. Der feuerlöschende Bauingenieur aus Galati erklärte, jeder Versuch, planvolles Bauen in den Städten durchzusetzen, wurde in den Jahren nach der rumänischen Wende sofort als „Fortsetzung des Sozialismus“ diffamiert. Kommt mir bekannt vor. Auch in Jena habe ich in den Nachwendejahren ab und zu hören müssen, dass strenge Bebauungspläne oder die Ausweisung von Sanierungsgebieten ja Arbeitsplätze verhindern, in die Eigentumsrechte eingreifen würden usw.

 

 

In Constanta sieht das Ergebnis dieser Jahre deprimierend aus. Ab und zu gewinnt man den Eindruck, dass kapitalistischer Wahnwitz – Bauen ohne gesicherte Finanzierung, Bauen vorbei am eigentlichen Bedarf – hier besonders tiefe Spuren hinterlassen hat. Vielleicht leidet Constanta aber einfach immer noch unter der Politik der Ceaucescu-Zeit, die ohne Rücksicht auf infrastrukturelle Folgen entlang der Schwarzmeerküste Kunstsiedlungen mit Bettenburgen hin ballerte und damit den gewachsenen städtischen Strukturen das Blut aus den Adern nahm.

 

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