Monat: Juli 2012

Roma und Rumänien

Gestern war wieder ein reiner Reisetag. Um 6.45 h ging das (einzige) Boot von St. Gheorghe nach Tulcea. Als es ankam, pünktlich, war der morgendliche Zug nach Constanta leider schon weg (ebenfalls pünktlich, wie die meisten Züge in Rumänien). Also erkundeten wir noch ein wenig Tulcea, so weit es die Hitze und unser Simon zuließen. Simon klagte nämlich über Halsschmerzen. So suchten wir zunächst eine Apotheke auf, um einige Lutschtabletten zu kaufen. Die linderten zumindest seine Probleme. Aber heute in Constanta waren wir vorsorglich beim Arzt, der nichts Dramatisches feststellte und ein leichtes Antibiotikum verschrieb.

 

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Tulcea glühte in der Sonne und wir vertrieben uns die Zeit zunächst in einem klimatisierten Hotelrestaurant mit einem kleinen Frühstück. Dann besuchten wir das ebenfalls klimatisierte Donaudeltamuseum. Dort gab es ein winziges Kino, in dem wir uns einen 3-D-Film über die Hubble-Mission ansahen, natürlich klimatisiert.

 

Am Nachmittag dann ging endlich unser zum Glück ebenfalls klimatisierter Zug nach Constanta, ein moderner Desiro-Dieseltriebwagen.

 

Wir fuhren weitgehend parallel zur Küste, sahen erstmals große Windparks auf unserer Reise und endlose Felder in einer sichtlich ausgetrockneten Landschaft.

 

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Vorbei kamen wir auch an dem (u.a. von zahlreichen Häftlingen) gebauten Donau-Schwarzmeer-Kanal, der den Weg vom Fluss zum Hafen von Constanta um ca. 400 km verkürzt.

 

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In Constanta bewohnen wir ein mondänes altes Hotel, in dem wir mit Rücksicht auf Simon nun etwas länger als geplant verweilen werden. Heute haben wir hier mal einen Schreib-, Lese-, Vorlese und Fernsehgucktag eingelegt. Draußen ist es ob der Temperaturen tagsüber ohnehin kaum auszuhalten.

 

Beim Arzt gab es noch ein spezielles Erlebnis. Zunächst mal war es ein sehr netter, sorgfältig arbeitender Mann, mit dem wir uns sehr gut auf Englisch verständigen konnten. Das veranlasste Claudia zu der Frage, wie er denn, als Angestellter eines offenbar sehr rentabel laufenden privaten Ambulatoriums, den Zustand des rumänischen Gesundheitssystems einschätze. Nach drei Sätzen war er beim vermeintlichen Hauptproblem Rumäniens, den Roma. Nachdem er zunächst betont hatte, kein Rassist zu sein, forderte er wenig später, den Roma für Auslandsreisen spezielle Pässe zu geben, mit dem Vermerk „Roma“, so dass sie von den „ordentlichen Rumänen“ klar zu unterscheiden wären. Mir lag ein Alternativvorschlag mit gelben Sternen auf der Zunge, aber ich wollte unseren Gesprächspartner nicht beleidigen…

 

Das veranlasst uns nun aber, diesem Thema einen gesonderten Beitrag zu widmen.

 

Wir sind während unserer Reise mehrfach Roma begegnet – um es vorweg zu nehmen, es gab nie Stress. Und betrogen wird man in Rumänien am ehesten von unverschämten Taxifahrern (gestern beim Geldrausgeben getrieft, aber insgesamt trotzdem noch billiger gefahren als in Berlin….).

 

Die erste Begegnung gab es in Kaunas (Litauen) in einer kleinen Imbissbude. Eine junge Roma, die mit ihrer Mutter dort etwas aß, sprach uns an, wo wir herkämen. Sie konnte gut russisch, so dass wir uns verständigen konnten. Sie sei schon mal in Deutschland gewesen. Dort habe sie als Kartenlegerin gearbeitet. Sie zückte sogleich ihre Karten, doch ich lehnte lachend ab – glaube nicht an so was. Sie nahm es gelassen hin, und war dann sogar bereit für ein Porträt gegen ein kleines Honorar (leider kein besonderes Licht in diesem Imbiss). Sie erwähnte ihre fünf Kinder und ich wollte die abgelehnte Kartenlegerei mit dem Honorar etwas kompensieren. Ich versprach, ein Foto zu schicken, gab ihr meine Karte und bat um Ihre Adresse. Sie versprach einen Anruf, wohl aus Verlegenheit, weil es keine Adresse gibt, ich weiß es nicht. Ich habe nichts mehr von ihr gehört. Schade.

 

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Auf dem ungarischen Grenzbahnhof von Turnadarca gab es unsere zweite Begegnung mit Roma. Die dort wartenden Kinder versuchten, uns etwas zu necken, indem sie uns in verkorkstem Englisch etwas zuriefen. Aber sie blieben auf respektvoller Distanz. Tibor, der Stationsvorsteher, äußerte sich eher bedauernd, resigniert denn vorwurfsvoll zu den Roma. Sie lieferten ihm lediglich eine weitere Begründung dafür, in dem kleinen Dörfchen keine Perspektive für sich zu sehen.

 

Tamazc, der rumänische Medizinstudent im Zug nach Vatra Dornei, äußerte sich schon ein wenig bestimmter. Die Roma würden ganz gezielt früh heiraten und ein Kind nach dem anderen bekommen, um so möglichst viel Kindergeld zu „verdienen“. Zwölf bis fünfzehn Kinder seien für eine Romafrau nichts Ungewöhnliches. Schwangere würden sogar gezielt für Fehlbildungen bei dem Nachwuchs sorgen (durch Boxen auf den Bauch der Schwangeren), denn behinderte Kinder bekämen höhere Kindergeldbeträge. Das alles ginge zu Lasten derer, die Steuern zahlten. Ja, es gäbe angesichts dieser Misere sogar Ärzte, die bei Kaiserschnittentbindungen unauffällig und ohne Wissen der Behandelten Sterilisierungen an Romafrauen vornähmen, selbstverständlich nur zu deren „Schutz“. Aber auch Tamacz hatte keine Lösung für das „Romaproblem“. Alle Förderprogramme seien vergeblich. „Die Roma sind ein Desaster für unsere Gesellschaft“.Die Roma würden sich absichtlich abschotten, angeblich zum Schutz ihrer Lebensweise, tatsächlich aber, um unbequeme Veränderungen, irgendwelche Anstrengungen zu vermeiden.

 

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Die dritte Begegnung mit Roma (ich wusste nicht einmal, dass es welche sind) hatte ich im Zug nach Galati.

 

Im Nachbarabteil war eine fröhliche Runde. Die noch jungen Eltern saßen mit dem fast erwachsenen Sohn zusammen. Die Männer ob der Hitze mit freien, wohlgenährten Oberkörpern, die Frau, sehr hübsch, im leichten langen, aber keineswegs folkloristischen Sommerkleid. Sie fragten, woher wir kämen. Wenig später saß ich mit im Abteil und wir sprachen in einem Kauderwelsch aus Englisch, Deutsch und Rumänisch über das Woher und Wohin, über die Perspektiven der Kinder und spielten uns gegenseitig mit den Handys die jeweilige Lieblingsmusik vor. Bregovic war dann der Konsens, den wir alle kannten und auch alle gut fanden. Die Frau hatte als Putzhilfe einige Zeit in London gearbeitet. Die Familie hat Freunde, die nach Deutschland ausgewandert waren und wusste einiges über unser Land. Ja, Deutschland wird überall als die Lokomotive Europas gesehen. Unglaublich, wenn man dort lebt und sich mit dem Steuerchaos rumzuschlagen hat.

 

Dann kam der Schaffner, der freundliche, hilfsbereite, englisch sprechende. Ich musste zurück in unser Abteil, um die Tickets heraus zu kramen. Plötzlich raunte uns der Schaffner streng und mahnend auf Englisch zu: „Bitte bleiben Sie in Ihrem Abteil und gehen Sie nicht nach nebenan zurück! Das sind Roma!“ Ich folgte dem Rat frustriert und mit gemischten Gefühlen. Einerseits hatte ich Lust, demonstrativ gegen die allgemeinen Vorurteile zu handeln. Andererseits wollte ich gegenüber dem Schaffner keine Überheblichkeit an den Tag legen (es war der, der uns bei dem Chaos mit der kaputten Lok so wunderbar geholfen hatte). Hat er sich womöglich ganz aufrichtig Sorgen gemacht? Ich wollte auch nichts riskieren, was Claudia, Simon und mich in Probleme hätte bringen können. Hatte es vielleicht mit den Passagieren im Nachbarabteil vor unserem Zusteigen schon irgendwelchen Ärger gegeben? Ich rechtfertigte mich vor mir selbst letztlich damit, dass sich angesichts der Verständigungsprobleme der Gesprächsstoff mit unseren Nachbarn ohnehin erschöpft hatte.

 

Sehr oft beobachteten wir vom Zug aus, dass sich an den Rändern der Dörfer die schäbigsten Gehöfte, an den Stadträndern sogar oft simple Hütten aus Plastikplanen befinden, offenbar Behausungen von Roma. Der Zustand dieser Quartiere erinnerte sehr an die Häuser der Roma in Bükkszentmarton, dem ungarischen Dörfchen, in dem wir vor einem reichlichen Jahr Urlaub gemacht hatten. Auch dort wurde übrigens vor den Roma gewarnt, wurde auf die Roma geschimpft. Aber genau dort war es ein Roma, der Simon an die Hand nahm, um seinen schlaffen Fußball mit seiner Ballpumpe aufzupumpen. Und dort hatten die Roma hervorragend gepflegte Gemüsebeete.

 

Ja, und gestern der Taxifahrer mit gutem Englisch und europa-erfahren im zweifachen Sinne: warnte uns vor den Roma in der Altstadt und betrog uns dann um 8 Euro.

 

Was auffällt ist, dass die Rumänen, wenn sie über die Probleme ihres Landes sprechen, nach wenigen Sätzen auf die Roma zu sprechen kommen. Wir wurden in Rumänien zwar nicht öfter angebettelt als in Berlin und schon gar nicht so aggressiv wie von manchem U-Bahn-Bettler, dem man sehr genau ansieht bzw. bei dem man riecht, wofür das Geld benötigt wird. Aber präsent ist das Problem auf jeden Fall, nicht nur in Köpfen und Gesprächen.

 

Es drängt sich der Verdacht auf, dass das Romaproblem durch die lokalen Politiker populistisch instrumentalisiert wird. Das ist uns aus Deutschland vertraut. Auch hier war es viele Jahre normal, dass selbst etablierte „Volks“-Parteien mehr oder weniger subtil in die Kerbe derer schlugen, die das Ausländerproblem als Ursache für viele andere Probleme heranführen wollten.

 

Aber anderes als türkische Migranten haben die Roma offenbar höhere Hürden zu nehmen. In Deutschland gibt es zum Glück einen Konsens breiter Kreise (ich will hier die unrühmlichen Ausnahmen gar nicht verschweigen), dass jede Form der Diskriminierung von Ausländern und Minderheiten, auch einer ideologischen Diskriminierung, schon aus der Erfahrung der Nazi-Zeit kein Raum gegeben werden darf. Ich weiß, das sieht in der Praxis auch in gebildeten Kreisen sehr differenziert aus, ich sage nur Thilo S…

 

Aber möglicherweise gibt es diese „historische Hemmschwelle“ in Rumänien nicht. Man hat zwar im 2. Weltkrieg auch die Progrome an den Juden hingenommen und unterstützt, sich aber letztlich gegen Nazi-Deutschland gestellt und der sowjetischen Armee angeschlossen. Führt das zu einem „unbefangeneren“ Umgang mit der Diskriminierung von Minderheiten?

 

Ceaucescu hat eine Politik der „Rumänisierung“ betrieben und möglicherweise zwei Dinge erreicht, die das Romaproblem indirekt verschärfen: Integrationsunwillige wurden subtil kriminalisiert. Und der rumänische Nationalismus unter Ceaucescu hat möglicherweise bis heute auch dazu geführt, dass die „echten“ Rumänen sich von den ja nur im Mittelalter eingewanderten Roma distanzieren.

 

Und die Roma sind irgendwie tragisch aus der Zeit gefallen: mit Pferdehandel, Kesselflickerei und zirzensischen Darbietungen hat man heute kaum noch eine Lebensgrundlage, man hat so viel Zukunft wie ein Bergarbeiter im Ruhrgebiet.

 

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Romafrau im Zug nach Galati

 

Die Roma waren in Deutschland vor 150 Jahren gewiss noch nicht so gut integriert wie die Juden, die zwar lange ghettoisiert waren, aber wirtschaftlich erfolgreich agierten, ja in Deutschland sogar bis zum Beginn der Nazi-Diktatur einen Aufstieg in das bürgerliche Establishment schafften und die heute in Deutschland glücklicherweise wieder eine ganz und gar respektierte soziale Stellung einnehmen.

 

Die Roma wurden unter den Nazis massiv unterdrückt, inhaftiert, auch Zwangssterilisierungen ausgesetzt, aber nicht so systematisch und radikal umgebracht wie die Juden. Gerade hatten die Roma in den zwanziger Jahren bedeutende Musiker hervorgebracht, die zumindest in den Großstädten hohes Ansehen erreichten. Wie gut hätte deren Integration in Deutschland gelingen können, wenn es die Nazis nicht gegeben hätte? Wie reich wäre Deutschland heute mit den Juden und Roma, die wir verloren haben?

 

Was mich interessieren würde, ist das Selbstverständnis der Roma. Sehen sie sich als diskriminiert an? Oder fühlen sie sich wohl in der Nische, in die man sie gedrängt hat oder in die sie geflohen sind? Gibt es eine Angst vor dem Identitätsverlust? Oder ist Resignation die bestimmende Haltung angesichts allgemeiner Vorurteile, angesichts einer Moderne, zu der aus verschiedenen Gründen der Zugang fehlt? Ist die entstandene Situation Resultat traditionell geringer Bildung? Gibt es möglicherweise innerhalb der Roma selbst einen Generationenkonflikt zwischen denen, die in Abschottung das Instrument zur Wahrung der eigenen sozialen Position, ihrer Herrschaft sehen und denen, deren Ausbruchsversuche mit Isolation in der eigenen Gruppe bestraft werden?

 

Unser heutiger Gesprächspartner, der rumänische Arzt, hat betont, es gäbe einige Förderprogramme für die Roma: besondere Bildungsangebote, geförderte Studienplätze. Sie seien allerdings Geldverschwendung, weil Bildung bei den Roma keinen Wert habe.

 

Gewiss ist es sinnlos, hier der einen oder anderen Seite irgendwelche pauschalen Vorwürfe zu machen. Es wäre vermessen, jetzt mit mehr zu kommen als der Bitte um Geduld als einziger Empfehlung. In den Gesprächen mit Tamazc, dem Medizinstundenten, habe ich auf die Erfolge bei der (z.B.) Integration der Türken in Deutschland verwiesen. Auch da ist selbstverständlich noch nicht alles eitel Sonnenschein. Aber es ist eine Hoffnung, denn seit der Anwerbung der ersten türkischen Gastarbeiter sind gerade mal 50 Jahre vergangen. Die Roma leben seit 500 Jahren in Rumänien.

 

Jedenfalls haben wir beschlossen, uns mit dem Thema intensiver zu befassen, in Deutschland einmal gezielt dazu zu recherchieren und den Kontakt zu Roma, die in Deutschland leben, zu suchen.

Zu guter Letzt noch der Blick aus unserem gegenwärtigen Hotelzimmer. Hier schläft Simon tief und fest seiner Genesung entgegen. 🙂

 

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Auf der Donau wolln wir fahren

 

Zum ersten Mal hatten wir im Zug danach gefragt. Ein Pensionär auf dem Weg nach Iasi, der etwas russisch sprach und in unserem Abteil saß, verneinte entschieden, dass Schiffe auf der Donau von Galati nach Tulcea, der Stadt am Eingang des Donaudeltas, fahren.

 

Schade, dachten wir, denn gern hätten wir die etwa 70km, die die beiden Städte trennt und die per Eisenbahn nur über einen gigantischen Umweg verbunden sind, mit einem Schiff bewältigt.

 

Doch im Hotel in Iasi erhielten wir neue Hoffnung. Der Rezeptionist, den wir um eine Recherche der Verbindung zwischen beiden Städten baten, meinte, es sein kein Problem mit dem Schiff zu fahren, bis 22.00 h ginge jede Stunde eines.

 

Erfreut entschieden wir uns am Samstag ob dieser freien Auswahl für den 13.00 h-Zug nach Galati, um von dort dann das Boot zu nehmen. Der Tag war quälend heiß und nur in einem klimatisierten Cafe hielten wir die Zeit bis zur Abfahrt des Zuges aus.

 

Kaum hatten wir mit dem Zug den ersten Vorortbahnhof von Iasi passiert, blieb dieser inmitten von Neubaublöcken plötzlich stehen. Dem allgemeinen rumänischen Geraune im Waggon entnahmen wir zwei deprimierende Worte: „Lokomtive“ und „defekt“. Tatsächlich herrschte völlige Stille, nur draußen rauschten die Autos vorbei. Alles verteilte sich vor dem Waggon auf den Gleisen und im vermüllten Gras.

 

Beinah waren wir entschlossen, auszusteigen, unter dem Rohr der Fernwärmeleitung hindurchzukriechen und ein Taxi zurück ins Hotel zu nehmen, als auf dem anderen Gleis plötzlich eine einsame Diesellok vorbeirauschte. Ich schöpfte Hoffnung. Und tatsächlich: die soeben gesichtete Lok kuppelte wenig später an der unsrigen an. Nun fuhr der Zug aber nicht weiter, sondern wurde mitsamt defekter Lok in den nächstgelegenen Bahnhof zurück geschoben. Dort verging weitere Zeit, bis die defekte Lok wegrangiert und die Ersatzlok die richtige Position unseres Zug schmückte.

 

Endlich. Nach einer guten Stunde ging es weiter. Wir hatten Glück, dass sich die Panne in der Nähe einer größeren Stadt ereignet hatte.

 

Es kam ein Schaffner und dieser konnte zu unserem Glück Englisch. Unser Anschlusszug in Tecuci, erklärte er, sei nicht mehr zu schaffen. Auf den nächsten müssten wir drei Stunden warten und wären dann nicht gegen 18.00 h , sondern erst kurz vor 22.00 h in Galati. Ich zückte unsere Karte und fragte, ob wir nicht bereits in Barlad umsteigen und auf einer Nebenbahn entlang der moldawischen Grenze weiterfahren könnten. Er blätterte wieder in seinem Kursbuch: Ja, das könnte gerade so klappen – und es klappte tatsächlich. Zwar mussten wir bei der privat betriebenen Strecke Tickets kaufen, aber wir waren immerhin gegen 19.00 h in Galati.

 

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Kurz vor der Ankunft kam ich mit einem jungen Mann ins Gespräch. Er war ein frisch gebackener Bauingenieur und Feuerwehrmann – sein Nebenjob während des Studiums. Er konnte recht gut Englisch und ich habe ihn gleich mal nach dem Weg vom Bahnhof zum Hafen gefragt. „Boote von Galati nach Tulcea?“ staunte er. Das habe er noch nie gehört, und immerhin sei er in Galati geboren und aufgewachsen. Mit der Fähre muss man über die Donau übersetzen und dann kann man einen Kleinbus nehmen. Er schlug seinen Laptop auf: „Vielleicht gibt es ja doch einen Direktbus nach Tulcea“. Aber einen solchen fand er nicht. Wir ließen uns nun statt dessen ein Hotel in Galati empfehlen.

 

Bei der Ankunft wurde unser Begleiter zwar von seiner Freundin erwartet (so hübsch, dass ich, sehr stark abgelenkt, nicht mal ein Foto von den beiden machte…), aber er nahm sich dennoch Zeit, mit uns zum nahe gelegenen Busbahnhof zu laufen und dort nochmals herum zu fragen. Dann begleiteten uns beide noch zum Hotel, ja, er nahm auf den letzten Metern sogar noch Claudias Rucksack auf die Schultern, nachdem meine Süße einfach fertig war vom Marschieren in der nach wie vor anhaltenden Hitze. So bekamen wir auch gleich noch eine Stadtführung und einige Schoten zu Ceaucescu präsentiert.

 

Am nächsten Morgen habe ich meinen üblichen Spaziergang durch die Stadt gemacht, die zu Unrecht von den Reiseführern verschmäht wird. Sie hat nämlich eine Art Prachtstraße, an der etliche Villen im Dornröschenschlaf dahindämmern. Universität, Rathaus, Präfektur und Theater künden auch heute noch von glanzvollen Zeiten. Bemerkenswert ist das nächtliche Treiben auf der Uferpromenade der Donau. Hier einige Eindrücke aus Galati:

 

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Unser Hotel lag gleich am Donauufer. So hatten wir es am nächsten Tag nicht sehr weit zur Fähre. Mit dieser setzten wir einfach ans andere Ufer über, wo wir prompt einen Minibus fanden, der nach Tulcea fuhr. Diese Minibusse werden oft privat betrieben, kosten etwas mehr, sind dafür etwas flexibler und schneller. Klimatisiert war unser Fahrzeug allerdings auch nicht.

 

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Abend über der Donau.

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 Auf der Fähre über die Donau.

 

Etwas mehr, nämlich ungefähr 15 € pro Person, kostete die Fahrt im Tragflächenboot, mit dem wir, in Tulcea angekommen, wenig später durch einen Kanal des Deltas schossen. Nach zweieinhalb Stunden erreichten wir St. Georghe und damit den östlichsten Punkt unserer Reise.

 

Der Ort liegt etwa drei Kilometer von der Schwarzmeerküste entfernt und hat ein wenig von der Atmosphäre Hiddensees. Kleine Häuschen, Sandwege, wenige Autos, eigentlich nur mit dem Boot zu erreichen. Der Hit sind kleine überdachte Anhänger, von Jeeps oder Traktoren gezogen, die einen Shuttleverkehr zwischen Dorf und Strand betreiben.

 

Wir waren uns nicht ganz sicher, ob wir nach St. Georghe fahren sollten, denn der Reiseführer hat den Ort unter bedeutungslos abgehakt. Auch hatten wir kein Quartier und wussten nicht, ob wir eins bekommen, wenn wir dort eintreffen. Ein Schiff zurück gab es nämlich erst am nächsten Tag! So erkundigten wir uns bei der Schiffsbesatzung, wie es mit Quartieren aussieht. Für alle Fälle hatten wir ja noch unsere Schlafsäcke mit.

 

Aber kaum hatten wir den Pier in St. Georghe betreten, nahm uns eine englisch sprechende junge Dame in Empfang: ob wir die Deutschen seien, die noch ein Quartier suchen. Mit Alina, die über drei Ecken von unserem Bedarf erfahren hatte, stapften wir durch den Sand zu deren kleiner Pension. Die junge Anwältin hat einen Job als Beraterin bei der Gemeinde und betreibt nebenher einige Gästezimmer. Wir hatten also wieder mal Glück. Alina nahm uns gleich mit ihrem Jeep mit ans Meer. Warm wie die Badewanne, aber deutlich größere Wellen. Trotzdem sehr erfrischend.

 

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St. Gheorghe hat eigentlich nur 900 Einwohner. Aber jetzt gibt es natürlich sehr viele Feriengäste. Alle wollen die Erkundung des Deltas mit einem Badeurlaub verbinden. Trotzdem ist das Dorf bisher von Massentourismus verschont geblieben. Diverse Investruinen künden von aufgegebenen alten und noch immer nicht vollendeten neuen Gebäuden, zum Glück noch keine Bettenburgen.

 

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Die traditionellen Häuser haben oft Elemente der byzantinischen Architektur, maurische Bögen an den Eingängen, Kratzornamente im Putz. Das wirkt mit Blumen und Gemüsebeeten alles recht hübsch.

 

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Für Romantik sorgen dazu noch zahlreiche Kühe und Pferde, die am Morgen wie von Zauberhand geführt auf ihre Weiden traben, einiges hinterlassen und gemütlich an dem fressen, was über die Gartenzäune ragt. So spart die Gemeinde auch gleich noch die Kosten für das Mähen der spärlich im Sand spießenden Gräser.

 

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Die Kirche, vor zwei Jahren komplett restauriert, ist vor zwei Tagen teilweise abgebrannt. Das ist bitter für das Dorf. Eine Versicherung gibt es nicht, und Rauchmelder machen bei dem allgemeinen orthodoxen Geräuchere offenbar wenig Sinn. Schade.

 

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 Heute war das Dorf in einen Sandsturm gehüllt. Den ganzen Tag ging der Wind wie Schmirgelpapier durch die Straßen. Mehrmals fuhr ein Traktor mit einem Wasserkessel durch das Dorf und und besprengte die sandigen Wege. Am Strand stießen wir zu unserer Überraschung auf eine kleine Kuhherde, die offenbar auch wusste, wo man am besten vor dem Sand geschützt ist.

 

 

 

 

 

 

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