Haustausch mit einer Familie in Hampstead. Das ist ein schickes, aber nicht schlimm-edles Viertel in London. Reihenhäuser – ideal für Familien, denn gleich um die Ecke ist ein großer Park mit dem Parliament-Hill und einem schönen Blick über London.
Mit dem Bus ist man von dort in einer halben Stunde an allen wichtigen Sehenswürdigkeiten, mit der U-Bahn geht es noch schneller, aber man steht oft im Gedränge und sieht weniger von der Stadt.
In London war Claudia zum letzten Mal vor etwa 30 Jahren, ich vor 12 Jahren und Simon zum ersten Mal.
Was sich am meisten verändert hat ist der öffentliche Nahverkehr. Der ist extrem kurz getaktet, die Busfahrer sind freundlich, warten auf heraneilende Fahrgäste und die Busse sind ausnahmslos so sauber, dass man bestens durch die Fensterscheiben fotografieren kann.
In London ist es wie in Berlin: die hübschesten Frauen haben meistens einen Migrationshintergrund. Gleichwohl – in London geht es durch Jahrzehnte der Kolonialpolitik noch deutlich bunter zu als in der deutschen Hauptstadt.
London ist eine Stadt voller Stil. Egal ob edel oder ganz rau – es wird konsequent ausgelebt. Man sieht der Stadt an, dass sie an den Kriegen der Vergangenheit nie ernsthaft hatte leiden müssen. Stilbrüche und Moden erschlagen nicht ganze Viertel, man bleibt dem, was da ist, immer irgendwie treu. Eine konservative Grundhaltung, die Umbrüche gelassen erträgt. Offenbar ist das auch eine Chance für kleine Läden aller Art, die – so unser Eindruck – den großen Ketten tapfer trotzen.
Wir wollten nicht so plump dem Mainstream folgen und einige Dinge tun, die in den Empfehlungen der Reiseführer nicht ganz oben stehen. Ein Spaziergang am Regent´s Canal war eine solche Idee, die sich gelohnt hat, Lisa (unserer Gastgeberin) sei gedankt.
Aber ansonsten stand die Bildung des Kindes im Mittelpunkt: Victoria & Albert Museum. Dieses Haus wirkt streckenweise noch wie eine große britische Rumpelkammer, die alles zeigt, was es so an britischer Kunsthandwerkstradition gab, mit kleineren Ausbrüchen in das nichtbritische Europa. Aber allein das Haus, das man quasi direkt von der U-Bahn über einen eigens angelegten Tunnel betritt, ist einen Besuch wert. Und es wird fleißig umgebaut.
Wirklich schlimm ist das Science Museum. Eine Sammlung von Textwüsten und Monitoren für eine Generation, die offenbar nichts mehr wirklich anfassen und ausprobieren will. Oder für Ausstellungsmacher, die nicht mehr aufwändig dekorieren wollen, sondern einfach neuen Content auf die Monitore aufspielen. Da hilft es auch nicht, wenn gefühlte 50 Flugzeugmotoren aufgereiht sind und dreist behauptet wird, die Concorde sei das erste und einzige Überschallverkehrsflugzeug der Welt gewesen. Die TU 144 der Sowjets wird dabei schlicht ignoriert, obwohl auch diese im Liniendienst eingesetzt wurde und ihren Jungfernflug 60 Tage vor dem der Concorde hatte.
Wie bei einigen anderen Museen auch ist der Eintritt kostenlos. Man wird am Eingang um eine Spende gebeten, die ich auch brav entrichtete. Was ich nicht wusste: im Museum wird man dann noch mehrfach zur Kasse gebeten. An der Garderobe, beim Flugsimulator (der sich übrigens lohnt, wenn man die halbe Stunde für die Warteschlange und umgerechnet 16 € für zwei Personen und knapp vier Minuten echte Loopings in der geschlossenen Kapsel investieren will) und in den ausufernden Gastronomiebereichen auf jeder Etage, an jeder Ecke.
Simon hat es einigermaßen gefallen. Ich war froh, als ich diese lärmende Kinderhölle endlich wieder verlassen konnte. Apropos Lärm: den scheinen die Briten so zu mögen wie den laxen Umgang mit Energie. Unsere Gastgeber haben in der Küche einen AGA-Ofen. Davon hatte ich nie zuvor gehört. Das ist ein riesiges Teil mit viel Gusseisen und Schamotten, das ständig in Betrieb ist, befeuert mit Gas. Es gibt eine heiße und eine nicht ganz so heiße Kochplatte, die, wenn sie nicht gebraucht werden, einfach mit einem fetten Deckel zugeklappt werden, das war´s. Abstellen kann man das Teil nur über eine Notschaltung, regulieren gar nicht, der Reis wird automatisch klumpig und zum Risotto. Sommer mit so einem Ding in der Küche stelle ich mir schrecklich vor. Das passt aber – vermutlich alles wegen dem Denkmalschutz – zu den einscheibigen, zugigen Fenstern. Auch das Fenster in unserem Hotel sorgt trotz angelaufener Isolierglasscheibe für kontinuierlichen Luftaustausch.
Eine positive Überraschung war der Besuch der Photographer´s Gallery. Was sich wie das Aufbäumen einer gebeutelten Branche anhört, entpuppt sich als edles Etablissement über fünf Etagen mit bester künstlerischer Fotografie und wechselnden Ausstellungen. Im Keller kann – wer es sich leisten kann – Prints von bekannten Fotografen bestellen, die dort offenbar vertreten werden. Die Buchhandlung im gleichen Haus sollte, wer eine Leidenschaft für Fotografie hat, besser nicht mit Portmonee betreten.
Ein Flop war dagegen der Besuch der National Portrait Gallery. Das ist eine Sammlung britischer Promies der letzten 800 Jahre, die dem Besucher teils aus unerträglichen Schinken entgegenblicken.
Obwohl in London der Autoverkehr offensichtlich mit radikalen Mitteln eingedämmt wurde, z.B. einer Innenstadtmaut, haben es die Radfahrer sichtlich schwer und sind im Vergleich zu Berlin noch eine exotische Spezies.
Auffällig ist bei den Briten eine Mentalität des Dienens. Es ist – verglichen mit Deutschland – unglaublich viel Personal im Einsatz. Ein winzig zögernder Blick – und man wird angesprochen im Laden, bei der U-Bahn, im Kaufhaus. Überall wird geputzt, gepinselt, Rasen gemäht. Der Hammer sind die hauptberuflichen Spielzeugvorführer im Harrotts, einem großen Nobelkaufhaus. Gleich drei junge Herren kaspern den ganzen Tag mit Fernsteuerkram und Zauberkästen herum, um die Kids restlos verrückt zu machen nach dem Zeug. Und obwohl die Straßen von Menschen nur so wimmeln, muss man nur selten an irgendwelchen Schlangen anstehen.
Aber London ist eben doch die Hauptstadt. Nur 100 km südlich verliert sich viel vom Stil in Massenabfertigung und Lieblosigkeit.
Eastbourne erreicht man mit der Regionalbahn von London aus in knapp zwei Stunden. Der Ort war vor 150 Jahren ein Shooting-Star unter den Bädern an der Kanalküste.
Aber jetzt wirkt die Kleinstadt wie eine Frau um die vierzig, die man morgens um vier geweckt hat. Und die Frauen, denen man morgens auf dem Weg durch die Stadt begegnet, sehen nicht alle aus wie vierzig, aber wie zu zeitig geweckt schon. Und die Männer sehen aus, als hätten sie gar nicht geschlafen.
Vielleicht ist das der Fluch der Vorsaison, der die Stadt in so unbarmherzigem Licht, einer nichts verhüllenden Leere erscheinen lässt. Vielleicht wird im Sommer alles von Massen an Touristen überlagert, die dann – nach dem Zustand der Quartiere zu urteilen – nicht den Kreisen der Besserverdienenden entstammen werden, aber auch der miesesten Imbissbude das Auskommen sichern. Dann – so vermute ich – erschlägt der Ansturm der Massen jede Spur von Kritik. Stillstand bis zur nächsten Saison.
Die Gastronomie in Eastbourne ist Teil der allgemeinen Abwärtsspirale der Stadt. Bei Harry Ramsdens gab es die schlechtesten Pommes, die uns während der ganzen Reise kredenzt wurden. Die waren labberig wie Gummi. Doch der Laden hing voll mit Deklamationen über die lange Tradition des Geschäftes und Qualitätszertifikaten, die vermutlich in einem der zahllosen Ramschläden erworben wurden, von denen die Stadt durchsetzt ist.
Was ist von einem Lokal im Souterrain eines Hotels zu halten, welches mittags zu Fish and Chips und für den Nachmittag zum Afternoontea einlädt? Tee aus der Friteuse? Wir sind schon gewarnt, wenn morgens der Geruch von gebackenen Bohnen und Rührei durch den Hotelflur wabert. Eine Sinfonie der Gerüche. Seeluft vom Meer und frisches Kohlenmonoxid von der Straße, die die Reihe der Hotels vom Meer trennt. Und jede noch so kleine Verpflegungsstelle lässt die Fahne des Fetts wehen.
Eine wirkliche Empfehlung ist hingegen die Patisserie Valerie, die es seit 1926 gibt und in der man neben britischen ernsthafte kontinentale Köstlichkeiten beziehen kann, auf Wunsch sogar voll bio. Und das beste Essen zum Abend bieter das türkische Restaurant „Meze“.
Gleichwohl – wir haben Eastbourne gewählt, weil es einen direkten Eisenbahnanschluss besitzt, auch zum Flughafen, und weil es eine doch recht ansprechende Umgebung hat, in der die Kreidefelsen an einer imposanten Steilküste absolut sehenswert sind. Nach einer einstündigen Wanderung entlang der Küste hat man diesen Ort mit schönen Ausblicken erreicht.
Aber es gibt auch das andere Eastbourne, das irgendwie den Aufschwung verpasst hat, sich übernommen hat. Reihenhäuser wie aus alten Filmen. Shoppingmalls wie Siegesmale der Betonindustrie.
Immerhin, am College spielt die aufstrebende Jugend Kricket, da ist die Welt noch in Ordnung.