Am Sonntagmorgen (08.10.2017) das Porträt von Richard, dem Restaurantbesitzer. Es sind noch nicht viele Gäste da, ich warte an einem Tisch die übliche halbe Stunde, die man wartet,wenn man in Kenia zu einer bestimmten Uhrzeit verabredet ist.

Während des Shootings ist Richard ein wenig angespannt, er hat kein Gramm Eitelkeit, kommt extrem souverän rüber. Ich werde ein wenig nervös als sich das Restaurant füllt. Nachdem ich mein Licht abgebaut habe, sitzen wir noch ein wenig zusammen. Er fragt noch mal, was ich eigentlich mache, was ich mit den Bildern will usw. Tja und dann die Einladung auf seinen Bauernhof, mit dem er das eigenen Restaurant versorgt.

Um 15.00 h soll ich ins Restaurant kommen. Gegen 15.30 h bestelle ich mir leicht entnervt was zu Essen. Immer wieder sprechen mich die Kellner freundlich an und bitten um weitere Geduld. Gegen vier ist Richard dann endlich da. Wir verlassen das Restaurant durch den Hintereingang und stehen vor einem klapprigen Toyota Kleinlaster. Ich nehme im Fahrerhaus Platz, es riecht schon deutlich nach Bauernhof. Richard verschwindet wieder und es werden noch Säcke mit Küchenabfällen von einem der 47 Angestellten, die er im Restaurant und auf dem Hof beschäftigt, auf die Ladefläche gewuchtet. Dann rattern wir los. Die Fenster halb geöffnet durch die Hochhausschluchten, dann die Hügel hinauf. Mit der zunehmenden Entfernung zu Stadt werden die Straßen schlechter, nach jedem Abbiegen wächst das Desaster. Inzwischen müssen wir beide fast brüllen und ich verstehe in dem ganzen Lärm immer nur 80% von Richards Englisch mit Keniaakzent, rufe immer mal wieder freundlich „Yeah“, wenn ich glaube, dass ich dem Gesprochenen bedenkenlos zustimmen kann. Aber wir lachen viel und und es gibt trotz all des Wirrwarrs der Geräusche das Gefühl, das wir eine gewissen Seelenverwandtschaft haben.

Dann stehen wir vor einer gigantischen blühenden Hecke und Richard hupt, Hunde bellen, das eiserne Tor geht auf. Ich steige aus dem Fahrerhaus und bin umringt von neugierigen Ziegen, Schafen, Hunden. Der Hof ist zugebaut mit zahlreichen Käfigen, ein einziges Gekläffe, Geblöke und Gemeckere, man muss aufpassen, wo man hintritt, alle Viecher rennen durcheinander.

Wir klettern eine Stiege hinauf und betreten Richards Haus. Judith, seine Frau ist sichtlich begeistert, als ich aus meinem Rucksack eine schwarze Damenstrumpfhose und zwei kleine Tuben mit Creme auspacke. Das Gegengeschenk, eine großen geflochtenen Kord, kann ich ihr mit Ach und Krach ausreden. Auch wenn sich Claudia riesig gefreut hätte, er wäre in meinem Gepäck einfach zerquetscht worden. Das Haus ist ganz aus Brettern gebaut, innen mit Sperrholz verkleidet, macht einen ordentlichen Eindruck, ist gleichwohl nur ein Provisorium, denn das eigentliche Bauernhaus harrt nach dem Abriss der Neuerrichtung.

Vom Wohnzimmer hat man einen schönen Blick über ein kleines Tal, wo sich zwischen Bäumen zahllose Gemüsebeete hinziehen, Richards Ranch. Judith lehnt sich aus dem Fenster wie ein Kapitän von der Brücke.

Nach dem obligatorischen Tee gibt es eine Führung über den Bauernhof. Richard geht so lange duschen. Mit Judith stolpere ich durch ein verwinkeltes System von Schweinekoben, Rinder- und Ziegenställen, die sich unterhalb des Hauses den Hang hinunterziehen. Über allen thront das Holzhaus wie eine mittelalterliche Burg. Die Gülle aus den Ställen fließt durch ein dickes Betonrohr direkt in kleine Gräben neben den Feldern. Das ist gemeint mit „Bio“. Der Einsatz von Dünger ist überflüssig, wird mir erklärt. Am Tiefpunkt des Bewässerungssystems befinden sich zwei große grüne Löcher, die Karpfenteiche. Und tatsächlich, als wir vorbeigehen zappelt etwas unter dem dicken Linsenteppich. Mechanisiert ist hier abgesehen von dem Auto nichts. Lediglich eine Motorpumpe wird benutzt, denn unten im Tal ist noch ein kleines Staubecken mit braunem Wasser aus dem zur Zeit ausgetrockneten Bach.

Judiths Farm, hinten am Hang das Bauerhaus

Judith ist Richards zweite Frau. Er ist geschieden, aber zur Ex besteht ein entspanntes Verhältnis und Judith erzählt, dass sich auch die Frauen ganz gut verstehen. „Geht ja auch nicht anders, wenn praktisch jeder mit jedem irgendwie verwandt ist in den riesigen Familien“, erklärt Judith. Familie und Kinder ist ein Thema, das immer geht in Kenia. Mit drei Söhnen bin ich glücklicherweise schon in dem Bereich, wo man sich eine gewisse Achtung erarbeitet hat.

Wir machen noch ein paar Bilder auf dem Hof und zwischen den Ställen. Dann wird es stockdunkel. Auf dem spärlich beleuchteten Hof wendet Richard den Kleinlaster, ich bin ein wenig platt von all den Eindrücken, und als wir zurückfahren reden wir nur wenig. Aber dann, wir sind immer noch in der Gegend, in der die Piste holprig ist, hält Richard plötzlich vor einem schmiedeeisernen Tor. Ein uniformierter Wachmann lässt uns ein, wir fahren eine Allee entlang und parken vor einem imposanten Wohnhaus, eine Mischung als Neureich und Italien, könnte auch in Bayern auf dem Dorf stehen. Ich verstehe nicht ganz , was jetzt ansteht, Richard will mich einem Freund vorstellen. Der ist aber nicht da. Wir werden von einer älteren Dame in Küchenkluft empfangen, die uns ins Wohnzimmer bittet und sofort anfängt zu kochen.

Jetzt sitzen wir in bereiten Ledergarnituren auf Edelholzparkett, nichts sieht billig aus, auch wenn ein wenig Geschmacksverstärker gut tun würde. Es wird Essen für gefühlte zehn Personen aufgefahren, Reis, Gemüse, Bohnen, Bananen, Tee. Richard und ich essen, dann wieder warten.

Gerade ist Richard fertig, mir alle Verästelungen eines bizarren Nachbarschaftsstreites zu erzählen, da rasseln die Schlösser und herein spaziert ein quicklebendiger Herr, angezogen wie ein etwas aus der Mode gefallener Filmstar: weißer Anzug, roter Schal, Hut. Richard stellt mich als seinen deutschen Bruder vor. „Dann bist du jetzt auch mein Bruder“, sagt Charles und umarmt mich.

Dann nimmt Charles in einem geschnitzten Sessel Platz wie ein König. Zum bestimmt zehnten Mal in den letzten vier Tagen werde ich aufgefordert, mal kurz mein Leben zu erzählen. Dann geht es ums Geschäft. Charles besitzt mehrere Hotels, in denen ich natürlich zukünftig jederzeit kostenlos mit meiner Frau übernachten kann ,soll einfach anrufen. Eine seiner Töchter, die demnächst in Kenia einen Deutschen heiratet, braucht einen Hochzeitsfotografen, kann ich ja gleich mit machen. Aber Charles hat mehrere Lizenzen für den Bau von Wind- und Solarparks in Kenia erworben, die nötigen Grundstücke sind gekauft … der Rest der Geschichte ist Mandantengeheimnis.

Ziemlich baff steige ich etliche Umarmungen später kurz vor Mitternacht wieder in Richards Auto.

Im Hotel packe ich meinen Kram zusammen, dort wo die Jacke das Tshirt nicht bedeckt, hat sich ein bräunliches Dreieck aus Staub gebildet. Unter die Dusche, Wecker stellen, fertig.

Montag (09.10.2017)

Den Wecker hätte ich mir sparen können, das Fenster war angelehnt und der Muezzin hatte um 5.00 h Schichtbeginn.

Also stand ich schon um 6.00 in der Lobby unten, eine halbe Stunde eher als geplant. Eine SMS und siehe da: Allan, mein Taxifahrer war schon in der Nähe. Als ich ihm auf dem Weg zum Bahnhof den gestrigen Tag erzähle muss er lachen: Charles und Richard sind seine Freunde, er geht jeden Tag in Richards Restaurant essen.

Die Autobahn, die Flughafen und Bahnhof mit der Innenstadt verbindet, hat so gut wie keine kreuzenden Brücken, kaum halblegale Wendestellen. Also fahren wir frisch an dem Stau vorbei, der sich Richtung Innenstadt wälzt, passieren zu meinem Erstaunen Bahnhof und Flughafengelände, um dann zu wenden und in genau dem Stau zu stehen, an dem wir gerade vorbeigefahren sind. Also: halbe Stunde bis zur Wendestelle, eine Stunde im Stau von der Wendestelle zum Bahnhof. Kurz nach 7 am Bahnhof

Auf einem großen Parkplatz eine Schlange mit Passagieren und Koffern, ich stehe ausgerechnet neben zwei blöden Briten aus dem Hotel, die sich von zwei gewollthübschen jungen Kenianerinnen begleiten lassen. Sie texten mich mit irgendwelchem blöden Brexitshit zu, als sie meinen Europasticker am Revers sehen und gucken ein wenig neidisch, als ich die Frage, ob ich auch Urlaub mache, verneine und erzähle, was hier mein Job ist. Ich stelle mich leiber zu den Kenianern als wir aufgefordert werden, alle unsere Gepäckstücke in eine lange Reihe auf den Boden zu stellen. Es sieht ein wenig aus wie ein Kartoffelacker mit Menschen dazwischen. Dann kommen Hunde vorbei und schnüffeln nach Drogen. Einer der Briten springt nervös zur Seite, ein Hund pinkelt an einen Koffer.

Dann vorbei an Wachleuten, die Tickets und Pässe kontrollieren. Dann wieder eine Schlange an der Gepäckdurchleuchtung in Zelten auf dem Parkplatz. Mein großer Koffer mit dem Blitzkram ist natürlich fällig.

Dann an den nächsten Wachleuten vorbei, denn jetzt geht es auf das eigentliche Bahnhofsgelände. Wieder Ticket und Pass. Dann der Eingang in das Bahnhofsgebäude: wieder Ticket und Pass. Im Bahnhof wieder Sicherheitskontrolle und Gepäckdurchleuchtung, dies mal darf mein Koffer durch.

Nur so viel: auch beim Betreten des Bahnsteigs und beim Einsteigen in den Waggon werden Tickets und Pässe kontrolliert. China ick hör dir trapsen. Und tatsächlich sagt doch der Chinese am Bahnsteig, der mein Ticket kontrolliert „Tsai tien!“, als begänne hier chinesisches Gebiet.

Einziger Trost: die Stewardessen in den Waggons. Da hat man offenbar wochenlang Schönheitswettbewerbe unter den erlesensten Massaitöchtern gemacht. Die Damen allerdings machen dann währen der Fahrt nicht anderes, als ab und zu mit Müllsäcken rumzurennen und mit feuchten Wischmops durch die Gänge zu schlenkern, wobei sie auch noch die beiden Tarnjackentypen die mit Maschinenpistolen den Zug auf und ab laufen, bei der Arbeit stören,. Abfallbehälter haben die Chinesen in ihren Waggons gespart, das machen die Stewardessen. WLAN wollen wir mal nicht gleich erwarten.

Die einspurigen Gleise rumpeln wie in den sechziger Jahren. Wer weiß, vielleicht verkraften verschweißte Schienen das Klima nicht. Der Zug ist vorn mit einer Diesellok bespannt. Aus irgendeinem Grund (Getriebeprobleme?) werden die Waggons regelmäßig mit einem Rums nach vorne geschleudert, als hätten wir eben einen Elefanten überfahren. Am Zugende hängt ein Waggon mit einem gigantischen Kühlaggregat, den ich anfangs für eine zweite Diesellok hielt. Der Mann , der dort arbeitet , ist ein Chinese, und der auf der Lok vermutlich auch. Der Zug rollt mit bescheidenen 91 km/h durch gelb vertrocknete endlose Savannen, begleitet von Stacheldrahtzäumen, die wohl Wildunfälle verhindern sollen oder sonstiges Überqueren der Gleise. Ich frage mich, wie außer an den wenigen Brücken die Bahn überhaupt gequert werden kann. Dass ein wichtiger Nationalpark mit dieser schnurgeraden Schneise durchschnitten wird, wird im Waggon auch noch stolz über Lautpsrecher angesagt. Da blicke ich schon ab und zu etwas neidisch auf die Gleise der alten Schmalspurbahn nebenan, die sich harmlos durchs Gelände schlängelt und auf der jetzt leider nur noch Güterzüge fahren. Aber unser Zug ist voll klimatisiert, von den 35°C draußen merkt man nicht viel.

Außer meiner Malariatablette habe ich heute noch nichts gegessen. Auf dem Bahnhof kein einziger Kiosk. Scheitert bestimmt an den Sicherheitsbestimmungen. Als ich gegen 11 frage, ob in den Waggons der ersten Klasse irgendwas serviert wird (ich könnte ja was kostenloses verpassen), werde ich enttäuscht. Also trabe ich in Wagen 5 zum Restaurant. Dort sitzen die Typen mit den Kalaschnikows und auch sonst viel fröhliches Volk.

Das Ticket für die erste Klasse kann man sich sparen, zumindest dann, wenn man rechtzeitig bucht und eines für die zweite Klasse bekommt. Gleichwohl: die Bahn ist in Kenia ein Erfolg, kein Vergleich zu den Überlandbussen. Und der Umstand, dass der Zug komplett ausgebucht ist, spricht für sich. Jetzt kommt noch ein Polizist. In blau und auch mit Knarre.

Draußen laufen die Straußen. Elefanten suchen Hydranten. (Wirklich! Gucke gerade aus dem Fenster!)

Und das übermüdete Balg zwei Reihen vor mir hat endlich aufgehört zu plärren.