Als ich am Sonntag (22.10.) bei Auschecken bin, spricht mich ein Kerl im Hoody an, wie es mir gefallen hätte, wo ich herkomme usw. Nach kurzer Zeit stellt sich heraus: es ist der Hotelmanager. Ich sage meinen Freunden draußen Bescheid und schnell machen wir noch ein Porträt im Salon.

Dann ab auf die Piste. Der Regen lässt nach und bald fahren wir mit lichter werdendem Himmel über die Hochebene beim Aberdere Nationalpark.

Die Landschaft ist relativ dünn besiedelt, außer Landwirtschaft passiert kaum viel. Dann plötzlich am Straßenrand ein aberwitziges Bauwerk. Ein völlig verwinkeltes Haus und auf dem Dach zwei recht dilettantisch simulierte Flugzeugrümpfe, Stahlgerippe mit Lkw-Planen bespannt. Ein Restaurant. Und Art brut vom Feinsten. Das wollen wir alle drei fotografieren. Dann taucht sogar die Besitzerin auf. Von der will ich natürlich vor ihrem Werk ein Porträt machen. Aber sie winkt ab, will sich erst umziehen. Na gut, trinken wir halt erst mal einen Tee. Die Frau zeigt mir das ganze Haus, ein wilder aber durchaus gekonnter Stilmix. Ich bin begeistert und des Lobes voll angesichts derartiger Kreativität. Dann sitzen wir und warten, der Tee längst getrunken, die Rechnung bezahlt, die Madam kommt einfach nicht. Schließlich erfahren wir von ihren Angestellten, dass sie durch den Hinterausgang Richtung Kirche geflüchtet ist. Der Gottesdienst ist nicht vor drei Stunden zu Ende. Fluchend ziehe ich von dannen, das wäre ein richtig gutes Bild geworden.

Immerhin gibt es auf der Strecke recht imposante Landschaften bei guter Fernsicht zu sehen. Immer wieder halte ich an und kann die entsprechende Bitte inzwischen auch auf Kisuaheli aussprechen, denn während der Fahrt machen wir immer wechselseitige kleine Sprachkurse.

Unser Ziel ist die kleine Stadt Nyeri am Südwestrand des Mount Kenya. Das Hotel ist chic und wir gönnen uns erst mal eine kleine Mittagspause. Dann will ich – es ist Sonntagnachmittag – mit meinen Freunden noch eine kleine Wanderung machen. Die Gipfel um die Stadt reizen mich. Doch wir müssen erfahren, dass dies alles gesperrte Reservate sind. Zutritt verboten. Letztlich empfiehlt man uns noch einen zugänglichen Bereich außerhalb der Stadt. Den finden wir auch. Allerdings ist das nicht mehr als ein mit Stacheldraht und Elektro eingezäuntes größeres Stück Wald mit einigen Lichtungen und Funktionsgebäuden, eine Art Zoo, in dem einige Tiere frei herumlaufen, andere in Käfigen eingesperrt sind. Dort führt uns ein Guide eine Stunde lang herum, das wars. Nix mit freiem Wandern in der Natur. Aber mir wird auch klar, warum das so ist. Wald und freie Natur sind für die Kenianer, die sowieso zu 80% auf dem Land leben und in der Landwirtschaft arbeiten, völlig banale Dinge. Der Wald dient, wenn er nicht eingezäunt ist, als Weide und zur illegalen Herstellung von Holzkohle. Daher auch die Absperrwut der kenianischen Wildhüter.

Der Montag beginnt mit Klinkenputzen in den größeren Betrieben der Stadt. Bei CocaCola und den Highland Waters sprechen wir vor. Bei Colas bekommen wir sofort eine Absage. Bei den Wasserflaschenwerken sollen wir dem Chef eine E-mail schreiben, vielleicht morgen dann. Aber im „Gewerbegebiet“ gibt es ja noch viele kleine Firmen. Glück haben wir bei einem Metallmöbelbauer, einem kleinen Lebensmittelhändler, einem Händler für Lacke und Farben, der die Farben computergesteuert mischen kann, bei einem Metallbauer, der auch Lehrer und Restaurantbesitzer ist, und beim Augenoptiker. Absagen bekommen wir von der Apotheke (Chef nicht da), der wilden Autowaschanlage (Schlauch und unbefestigtes Grundstück, das wars, Chef auch nicht da), bei der nicht ganz so wilden anderen Autowaschanlage 200m weiter (Chef will auf kein Bild drauf), bei den Kumpels von der Baustelle (Bauherr will keine Fotos).

Und dann machen wir noch ganz viele vage Verabredungen für den nächsten Tag. Abends dann ein Spaziergang durch das Stadtzentrum. Ein irres Gewühl von Autos, Motorrädern, Menschen und Schafen. Die ganzen Fußwege voll mit Leuten, die irgendwelchen Krimskrams verkaufen wollen. Interessante Motive, aber nicht so die Nerven für ein Porträt. Philip marschiert in solchen Situationen übrigens immer einen Meter vor mir, Gregory 2 m hinter mir. Und den Schlenkschen Familienpfiff nutzen wir auch schon.

Am nächsten Morgen (Dienstag, 24.10.) fotografiere ich gleich um 08.00 h das coole, gelbschwarz karierte Auto von der Fahrschule nebst Chef. Der Termin bei den Wasserflaschenwerken ist erst um 10.30 h. Am Tag zuvor habe ich noch eine recht ermutigende E-mail vom Chef bekommen, also noch mal ins Hotel. Der Wasserchef gestattet zwei Bilder, freut sich über schnelle Arbeit, wir freuen uns über eine schnelle Entscheidung. Dann ab in die City.

Etwas schickere Klamottenläden stehen heute auf meiner Agenda. Ich will ja nicht immer nur Armut und Improvisation zeigen. Der Herrenausstatter lässt uns eine Dreiviertelstunde im Laden stehen und bedient einen Kunden nach dem anderen. Dann hat er endlich Zeit. Philip baut das Licht auf, ich knipse und weiß schon sehr genau, wen ich wo hinstelle und welche Perspektive ich wähle. Der Inhaber ist erfreut ob unseres Arbeitstempos, und ihm gefallen auch die Bilder.

Im Laden nebenan ist die Chefin immer noch nicht eingetroffen, auch nicht zu erreichen, also kein Bild. Auch der Anwalt, der um 12 h da sein wollte, um uns mit in seine Kanzlei zu nehmen, lässt sich nicht blicken.

Ab in den nächsten Laden. Schmuck und Fummel. Die Chefin ist perfekt gekleidet und dekoriert. Aber meine Komplimente versagen. „Kommen Sie mal gegen 17 h wieder.“ (Das hat sie gestern schon gesagt). Ich lasse nicht locker und klappe meinen Laptop auf mit den fertigen Porträts. „Na gut“, sagt sie, „dann lieber gleich jetzt. Was zahlst du denn?“ Ich erkläre Ihr, dass ICH normalerweise der bin, der bezahlt wird und nenne ihr mal deutsche Preise für ein Porträt. Da lenkt sie ein. Der letzte Frost in ihren Blicken schwindet in Anbetracht der überreichten Damenstrumpfhose. Jetzt ist sie ganz aus dem Häuschen und räumt den halben Laden um, damit das Bild gut wird. Alles schön, alles schick.

Wir gehen was essen und dann in die Anwaltskanzlei drei Straßen weiter, mit der wir uns am Tag zuvor verabredet haben. Die Chefin hat uns gestern empfangen, einen Termin für 14 h vorgeschlagen und gefragt, ob ich nicht gleich die ganze Kanzlei durchporträtieren kann. Mach ich natürlich gern für meine Kolleginn/en. Tatsächlich wollen alle vier Anwesenden ein Bild. Wir reden zwischendurch über die Juristerei in beiden Ländern, Mandanten, Kooperationspotenziale. Die Leute sind zufrieden. Dass sie das Bild gleich auf dem Laptop sehen können, finden alle klasse und das sorgt für Lockerheit.

Nachmittagspause, wieder ins Hotel.

Abends will ich noch mal in die Stadt. Das nächtliche Treiben (Hier beginnt die Nacht schon um 18.30 h, denn in Äquatornähe wird es um diese Zeit stockdunkel.) hat mich fasziniert. Noch ist Tageslicht und wir machen einen Spaziergang am Rande eines Slums. In dieser absolut nichttouristischen Stadt bin ich DER eye-catcher. Aber alle sind freundlich zu mir, wir lachen viel, ich werde oft gebeten, einfach so mal ein Bild zu machen. Der Hammer für mich: Autowracks unterschiedlicher Größe, die zu winzigen Lagerräumen, ja sogar Büros umfunktioniert wurden. Statt der Fesnterscheiben gibt es eingeschweißtes Blech, an den Türen Vorhängeschlösser.

Vor einem Brillenladen, in dem es auch Uhren, Schmuck und Pokale gibt, bleibe ich stehen. Er ist nicht größer als ein Seecontainer und sieht von außen auch so aus. Der Chef winkt mich rein und schon sind wir im schönsten Fachsimpeln über Brillen, Gläser, Augenmacken usw. Natürlich darf ich ein Bild machen. Und ich soll auch mit nach hinten kommen, wo auf geschätzten 2 qm das Gerät für die Augenvermessung steht. Dann unterhalten wir uns über Unternehmertum an sich. Und er schleppt uns prompt noch zu einem Laden für Consumer-Elektronik, der ihm auch gehört, ebenso winzig. Hinter dem Tresen steht die Marketingchefin. Eine schlaue Frau, die, wie er mir später noch sagt, ganz entscheidend für das Wachstum der Firma ist.

Schluss für heute. Im Hotel warten noch einige Vertragstexte auf die Durchsicht. Bilder müssen an die Models gemailt werden usw.

25.10.17

Heut sind wir nach Meru gefahren. Fällt der Name dieser Stadt, grinsen die Kenianer regelmäßig, denn der Ort ist bekannt für die Produktion des Rauschmittels Kath.

Wieder geht es durch tolle Landschaften entlang einer verwaisten Bahnstrecke. Fantastische Wolkenbilder, immer wieder halten wir an. Die Landschaft ist grün und hügelig, an anderer Stelle wieder wie plattplaniert. Es gibt richtig große Felder mit Traktoren drauf.

Heute ist eine außerordentlicher Feiertag. Der Präsident hat Ruhe und Erholung angeordnet, bevor es morgen ans Wählen geht. Da ich morgen das Hotel nicht verlassen werde, ein verlorener Tag mehr. Eigentlich bin ich mit meinen Porträts schon im Kür-Modus. Auch die selbstgesetzte Quote mit nicht so armen Unternehmern und Managern habe ich erreicht. Aber inzwischen sind wir so ein eingespieltes Team, das ich weiterhin jede Gelegenheit nutzen will. Philip ist mein Assistent. Er spricht die Leute zunächst mal kurz auf Kisuaheli an, dann übergibt er mir das Wort und ich erkläre auf Englisch, was ich will. Er streut Kisuaheli-Sätze ein, falls das Gegenüber nicht so fit in Englisch ist. Vermutlich lobt er mich auch ein wenig. Gregory bewacht so lange das Auto. Inzwischen spricht aber auch er Leute an und fragt nach interessanten Unternehmen.

Einige Kilometer vor unserem Ziel sehen wir eine Baustelle voller Bauarbeiter. Die will ich unbedingt vor die Linse haben. Bauarbeiter fehlen noch in meiner Sammlung. Wir haben Glück, die Chefin ist auf der Baustelle und ist einverstanden. Die Bauarbeiter frotzeln ein wenig herum, Muzungu und so… Da schnappe ich einem die Schippe weg und lege los. Erst am Sandhaufen, dann an dem mit dem Schotter. Ich fülle mit meinen neuen Kollegen alte Plastikeimer, die von Trägern zum Betonmischer geschleppt werden. Auf dieser Baustelle gibt es sogar eine Art Kran, mit dem der Mörtel auf das erste Obergeschoss gehoben wird, welches gerade betoniert wird. Alle lachen und staunen, es gibt eine tolle Stimmung und Philip knipst mich mit meinem Iphone.

Ein wenig weiter kaufen wir Bananen, und zack, darf ich gleich noch die Tischlerei nebenan fotografieren.

In Meru habe ich uns wieder ein Hotel mit Pool gegönnt. Die letzten drei Tage war ich vor dem Frühstück immer schwimmen. Das will ich trotz der morgendlichen Kühle auch die nächsten Tage so halten. Ich will die Wahltage aber auch in solider Umgebung aussitzen, denn morgen mache ich einen Bürotag.

Heute Nachmittag dann noch ein kleiner Ausflug in die Umgebung des Hotels. Porträts in der Schweißerwerkstatt, bei einer Bestatterin (!) und in der Pizzeria. Philip und Gregory haben zum ersten mal in ihrem Leben Pizza gegessen. Und ich freue mich über die Abwechslung nach drei Wochen kenianischem Einheitsbrei.

Heute hat der oberste Gerichtshof irgendeine Petition abgelehnt, weil einer der drei erforderlichen Richter keinen Flug nach Nairobi bekommen hat. So kann man das Volk auch wuschig machen. Draußen gießt es in Strömen, vielleicht ganz gut für erhitzte Gemüter. Ich bin 250 km von Nairobi und noch weiter von Kisumu und Mombasa entfernt. Das Auto ist vollgetankt. Und wir sitzen hier mitten im verschnarchten Kenyatta-Land. Philip meint, hier gäbe es keine Opposition und demzufolge auch keinen Stress. Mal sehen.