21.10.17

Gestern war der nationale Feiertag der Helden des antikolonialen Kampfes. Trotzdem ist Jyoti in ihr Autohaus gekommen für die versprochenen Porträts. Wir haben eine Stunde gearbeitet und diverse Einstellungen probiert. Das war nicht so easy, den Jyoti hatte sich nicht so megavorteilhaft gekleidet und ich wollte sie nicht all zu quadratisch erscheinen lassen. Aber wir waren mit dem Ergebnis alle zufrieden und sie hat uns noch eine große Schachtel indischen Konfekts geschenkt, denn für die Sikhs beginnt bald das neue Jahr und da sind Süßigkeiten im Umlauf wie bei uns Weinflaschen im Advent.

Noch mal tanken bei dem vorgestern portraitierten Tankwart, der tatsächlich vorbeikommt und freundlich winkt, dann ab auf die Straße.Unterwegs Sprachtraining: deutsch für meine Begleiter, Kishuaheli für mich. Wir müssen viel lachen, vor allem, wenn meine Freunde versuchen, „ö“ oder „ü“ auszusprechen. In Nakuru ein Zwischenstopp für eine warme Jacke für den kurzärmligen Gregory. Während ich im Laden locker die 15 € für eine gefütterte Jacke hingelegt hätte, haben meine Freunde den Verkäufer auf 7,50 € runtergehandelt.

Wir passieren noch mal die Erhebungen rund um den Menengai-Krater, dann geht es immer höher in die Berge. Unterwegs ruft mich Stephen aus Nairobi an, ob es stimme, dass ich Richtung Nyahururu fahre. Klar, das hatte ich auf Facebook gepostet. Die Überraschung kommt später.

Die Attraktion von Nyahururu sind die Thompson Wasserfälle, die 74 m in die Tiefe donnern. Und Hotels gibt es nur in unmittelbarer Nähe dieses Naturschauspiels. Wir verfahren uns ein klein wenig und ersparen uns auf diese Weise den teuren Tourischuppen, den ich schon zähneknrischend ins Auge gefasst habe, checken statt dessen in der Thompsen Fall Lodge ein für die Hälfte des Preises, aber mit tollem kolonialen Charme, der im Unterschied zu unserem Hotel in Kericho nicht vergammelt und versaut ist, sondern sich uns in voller Pracht darbietet.

Zuerst schauen wir uns den Wasserfall an und machen eine kleine Klettertour über glitschige Stufen runter zum Fluss. Als wir wieder im Hotel ankommen begrüßt mich mit einigem Hallo Stephen aus Nairobi, der hier mit einigen Freundinnen und Freunden seinen Geburtstag feiert. Ben, den Friseur treffe ich wieder, Fred, den Menschenrechtsaktivisten lerne ich kennen. Wir diskutieren über die politische Situation und ich kann mit einer relativ simplen Idee punkten, nämlich mal eine Demo derer zu veranstalten, denen die sich hier bekriegenden Anhänger der Präsidentschaftskandidaten egal sind, und die einfach Frieden im Land wollen. Leider muss Stephen mit seinem Gefolge zurück nach Nairobi, das hätte noch ein verdammt lustiger Abend werden können. Heute morgen sah ich Stephens übrigens noch mal: er war im Fernsehen in einem Bericht über seine Arbeit als Friedensbotschafter.

Abends esse ich mit Gregory und Philip ein recht opulentes Menü mit Life-Kochen und allem pipapo. Inzwischen an die kenyanischen Preise gewöhnt, muss ich in Anbetracht der Rechnung etwas schlucken, beruhige mich aber binnen Sekunden mit dem Gedanken, was das wohl in Europa gekostet hätte.

Abends zittere ich mich in den Schlaf: die Temperaturen fallen hier auf 13°C in der Nacht, alles fühlt sich kalt und klamm an. Es regnet jeden Tag und der Wasserfall mit dem ewigen Sprühnebel tut sein Übriges.

Heute früh wieder Regen. Wir leihen uns einen Schirm und fahren trotzdem in die Stadt. Zum Glück lässt der Regen nach. Dann bricht ein außerordentlich produktiver Vormittag an. Ich porträtiere einen Schuhputzer, der mich nach dem was ich zahle, begeistert umarmt und mich einen wahren Gentleman nennt, einen Buchhändler, den Besitzer eines Elektroladens, der mir berichtet, dass Solarstrom in Kenya billiger ist als der aus dem Netz, eine Apothekerin, einen Videoverleiher, noch eine bildhübsche Buchhändlerin, die auch Sängerin und Komponistin ist, einen CD-Verkäufer und zum Schluss noch einen Fleischer.

Mit ihm führen wir ein recht langes Gespräch, denn er ist skeptisch, was mein Projekt betrifft. Die negativen Erfahrungen mit Kolonialisten und Potentaten lassen ihn vorsichtig sein. Philip, mein Begleiter, legt sich mächtig ins Zeug für mich und überrumpelt ihn schließlich, sich wenigstens mal meine fertigen Porträts anzusehen. Dann bricht das Eis und er taut auf für eine Porträtserie, mit der ich sehr zufrieden bin. Es gibt einen herzlichen Abschied. Ich lobe ihn dass er nicht einfach „ja“ oder „nein“ sagt, sondern sich echt Gedanken macht.

Dann fängt es wieder an zu tröpfeln und wir steigen ins warme, trockene Auto, fahren zurück ins Hotel. Inzwischen gießt es wie aus Eimern. Zum Arbeiten an Verträgen, Facebookpostings, Bildern und Texten setze ich mich in den Salon. Dort knistert der Kamin, gleichzeitig gibt es aus allen Richtungen feuchtkalten Durchzug. Draußen im Garten tobt die Anlage von DJ Charles aus Nairobi, den ich gestern Abend noch porträtiert habe, und der mich freundlich begrüßt. Aber wie gestern Abend auch tanzt keine Sau. Wäre eh nur dancing in the rain. Der Regen prasselt und dann läuft auch noch der Fernseher im Salon. Wenigstens diesen Stecker ziehe ich dann beherzt und bekomme erstaunlicherweise den Beifall der anwesenden Kenianer.

Die Absagequote heute in der Stadt lag bei ca. 50%. Das hat immer ganz unterschiedliche Gründe. Oft stehen in den Geschäften Angestellte, die ohne ausdrückliche Zustimmung des Chefs nichts erlauben. Nur die Apothekerin ist meinem Wunsch gefolgt, und hat ihren Vorgesetzten angerufen, war dann aber trotzdem reichlich zugeknöpft. Manchmal kommen die Wachleute von draußen rein in den Laden, und plötzlich herrscht eine merkwürdige Ruhe. Viele Ladenbesitzer sage ohne jede weitere Begründung sofort ab. Sei es wegen der Befürchtung, dass Sortiment und Preise ausgespäht werden, sei es aus Angst vor sonstigen Nachteilen. Philip, mein goldwerter Türöffner, meint, dass auch Neid eine Rolle spielt. Einige Leute sind der Auffassung, dass ich zu Hause mit den Bildern eine Menge Geld verdiene und gönnen mir das einfach nicht oder sehen sich in der Rolle des billigen Zulieferers. Sie fragen aber auch nicht nach einem Honorar, welches ich bei erkennbar Armen, gern freiwillig zahle.

Im Salon taucht ein junger kenianischer Fotograf auf. „Hey, was hast du für eine merkwürdige Kamera!“ „Hasselblad“, sage ich. „Nie gehört“ antwortet er „Ich hab ne Nikon!“ Gut so, denke ich.

Jetzt wärme ich mich an heißem Tee, und nachher fahren wir in die Stadt zum Abendessen zu meinem Freund, dem Fleischer.