Autor: Eric Pawlitzky

Der vorliegende Blog ist unser Reisetagebuch. Per email sind wir unter ericpawlitzk(at)web.de zu erreichen.

Was sonst noch so zu sagen ist – „african econmy“ ein fotografisches Projekt

 

Samstag 14.10.17

Ich muss schreiben, denn der Kopf ist so voll mit verrückten Dingen, die kann ich mir kaum merken. Und dass das so ist, stelle ich fest, wenn ich sehe, dass ich einige witzige oder interessante Sachen in den Texten zuvor gar nicht erwähnt habe.

Z.B. unseren Versuch, den Chef einer großen Textilfabrik zu fotografieren. Die sah von außen aus wie ein riesiges Hochsicherheitsgefängnis. Als wir den richtigen Eingang gefunden hatten, war das nur ein großes Stahltor und ein Pförtnerhäusschen, das eher mit Schießscharten, denn mit Fenstern versehen war, eingelassen in die vier Meter hohe Mauer mit Elektrozeugs und Stacheldraht.

Nach einigen Diskussionen werde ich eingelassen. Ich überreiche einem der Wachleute alles was ich so an Genehmigungen habe, auch meinen Pass. Damit verschwindet er. Nach ca. 5 Minuten öffnet sich das Stahltor und wir dürfen alle drei mit unserem Auto hereinfahren, es auf einen Parkplatz abstellen. Jeder von uns bekommt ein Halsband mit einer Karte dran.

Ich bekomme meine Dokumente zurück, darf sie aber gleich wieder abgeben bei einer Sekretärin in einem kleinen Bürogebäude. Sie kopiert meinen Pass, fragt nach Telefonnummern (da gebe ich immer eine falsche an….mit nem kleinen Zahlendreher drin, die müssen mich ja nicht auch noch per GPS verfolgen).

Während wir auf einen Vertreter des Managements warten, sehe ich durch ein Fenster, wie hunderte Arbeiter aus den gigantischen Hallen zu überdachten Essplätzen im Schatten der hohen Mauer strömen. Es ist Mittag und endlich kommt ein untersetzter Herr in weißem Hemd. Ich erzähle, was ich von ihm will. „Fotograf? Das trifft sich gut.“ fängt er an, „Ich unterstütze zwei junge Männer, die Fotograf werden wollen, haben leider grade Schule.“ Welche Kameramodelle ich denn empfehlen könne, will er wissen, natürlich gebrauchte. Ich fasse Mut und notiere auf einen Zettel, was ich für sinnvoll halte. Dann erzähle ich, dass ich in Deutschland für die Kids im Slum auch Kameras sammeln will. So halb im dummen Scherz fragt er Philip, der neben mir sitzt, ob Philip nicht aus meinem Gepäck eine Kamera klauen könnte. Ich wende mich an Philip und sage „Hey, Philip, wir haben uns in der Adresse geirrt, das ist hier gar keine Fabrik, das ist ein Knast mit lauter Kriminellen drin!“ Alle können lachen über den kleinen Scherz.

Es ist bei all dem Gewarte und Gelaber eine knappe halbe Stunde vergangen, ich komme zum Thema. „Nein, fotografieren könne man in den Hallen nicht.“ (dachte ich mir) „Und auf dem Hof leider auch nicht.“ „Wie wäre es mit einem Porträt draußen vor der Mauer?“ schlage ich vor (das wäre eine coole Nummer, denn es sähe tatsächlich aus, als sei er aus dem Knast entlassen oder müsse grade rein.). „Nein, er könne leider nicht Modell stehen, auch nicht draußen, auch nicht in einiger Entfernung, auch nicht anonym.“ Die Fabrik erklärt er, sei eine Freihandelszone, Staatsbetrieb, da dürfe man gar nichts fotografieren. Lediglich einen Schuss in die Landschaft aus großer Distanz gestattet er mir.

Als wir das Werksgelände verlassen, schüttelt Philip dem Wachmann durchs Fenster die Hand: es ist einer seiner Cousins. Und irgendwie begegnen uns dann täglich mehrere Cousins, ehemalige Kollegen, Schulfreunde. Das Land eine einzige große Sippschaft.

Wir fahren in den nächsten Stunden und Tagen noch an vielen anderen großen Fabriken in Mombasa und Umgebung vorbei. Immer, wenn ich zu einem neuen Versuch ansetze, sagen meine beiden Begleiter: „Vergiss es.“

Das ist also eine offene Aufgabe: mal einen größeren Betrieb fotografieren, idealerweise von innen. Ich habe noch zwei Wochen Zeit, um das hinzukriegen. Meine letzte Chance ist Nairobi, wo ich ja jetzt einen Millionär kenne. Aber diese Karte will ich wirklich erst zuletzt ausspielen.

Heute habe ich im Netz nach Betrieben in Nakuru recherchiert. Im Internet an sich gibt es kaum was zu entdecken, eher auf Facebook. Mit online hat es die Industrie hier nicht so. aber heute habe ich auch mal wieder ein wenig im Broterwerbsberuf gearbeitet: für die erwachsenen Patenkinder habe ich zusammen mit Johanna ein Seminar gemacht. Ca. 12 Leute waren gekommen, teils aus Uganda von der dortigen Uni angereist. Bei dem Workshop ging es um Themen von der Karriereplanung bis zu den Essentialien eines Businessplanes, immer mit dem Ziel, unseren Leuten etwas zu geben, was andere von Eltern bekommen. Man muss wissen, das Waisen in der Hierarchie verdammt weit unten stehen. Unsere Patenkinder werden definitiv mal ziemlich weit oben stehen. Das war jedenfalls mein Eindruck aus deren Diskussionsbeiträgen, den Plänen, die sie haben, der Art und Weise, wie sie auftreten.

Das Foto gestern von Mike, dem Chef von Fatboy Animations in Nairobi, war nicht so toll. Aber die Gelegenheit zum Nachbessern ist mir quasi vor den Augen davongefahren. Als wir nämlich vor dem Glaspalast der Fatboys auf dem Parkplatz standen, um auf Johanna von Dentists for Africa zu warten, kam der Chef raus und stieg in einen fetten BMW X5 (SUV). Ja, er stehe auf deutsche Autos sagt er, als er unter meinen erstaunten Blicken aus der Parklücke fährt. DAS wäre das Bild gewesen: Mike vor seinem BMW vor dem Glaspalast. Tja, die besten Ideen hat man immer hinterher.

Allein zu reisen ist nicht so mein Ding. Immerhin habe ich mit Philip und Gregory ganz sympathische Begleiter. Aber jeden Morgen muss ich mich zwingen, einen klaren Plan für den Tag zu machen. Der Plan lautet: mindestens zwei Porträts! Mehr geht oft nicht. Termine kann man vergessen, Reisezeiten auch. Ruft man bei größeren Firmen an, lautet die Antwort: schicken Sie uns ihre Anfrage doch mal per E-mail. Letztere wird natürlich nicht beantwortet. Heute habe ich ca. 10 Firmen in Nakuru mit Nachrichten über Facebook zugebombt, in der Hoffnung, dass jemand reagiert. Ansonsten gehe ich am Montag auf Verdacht Klinken putzen, Pförtner nerven usw. Heute ist Halbzeit, und ich habe 31 Porträts gemacht, von denen ich vermutlich zehn nicht in die engere Wahl nehmen werde. Da in Kenia auch samstags gearbeitet wird, bleiben mir noch zwölf Tage bis zum Abflug.

Und dann gibt es wieder Überraschungen: irgendwo geht eine Tür auf, und dahinter gibt es geile Bilder, mit denen ich am Morgen auf keinen Fall gerechnet hatte. Aber ich muss mich zwingen. Vor allem in dem geilen Hotel am Strand, ist mir das Aufraffen schwer gefallen.

Die Telefonnummer meines Patenkindes funktioniert nicht mehr. Sicher ist sein Guthaben verbraucht, vielleicht das Telefon kaputt, ich weiß es nicht. Falls er nicht zurückruft, muss ich irgendwie seine Schule finden. Wieder ein kleines Puzzel. Und wieder habe ich mich auf Selbstverständlichkeiten verlassen, das ein Jugendlicher per Telefon erreichbar ist, die hier eben nicht selbstverständlich sind. Ich hätte die Klamotten für Felix heute einem Seminarteilnehmer mitgeben können, der in Nyabondo arbeitet, der hätte sie den Großeltern von Felix vorbeibringen können. Aber eine persönliche Übergabe wäre natürlich viel schöner. Ich bleibe dran.

Mit dem Essen komme ich übrigens auch gut klar. Schon morgens gibt es die Gemüsepfanne, die ich mir sonst eigentlich erst am Mittag mache. Ich esse so gut wie keine Teigwaren, fast täglich Geflügel und Eier (ja, da denken die Kenianer, mir eine besondere Ehre zu erweisen…), viel Fisch und leider, leider, leider kein bisschen Süßes, keine Schokolade, nix. Na gut, am Freitag konnte ich an der Tankstelle einer Packung Kekse nich widerstehen, aber die haben wir im Auto zu viert gegessen. Obst gibt es meistens zum Nachtisch oder auch mal zum Frühstück, das ist dann Mango, Melone, Ananas. Auf jeden Fall kann ich meinen Gürtel bequem auf den letzten Loch schließen. Dennoch nervt der Bewegungsmangel. Viel Autofahren, Arbeit an Texten und Bildern – aber heute wollen wir mal auf den Menengai-Krater wandern.

Die politische Situation ist am Knistern. Gestern Abend im Fernsehen wurden die Wahlen mit keiner Silbe mehr erwähnt, das wirkt wie eine Nachrichtensperre. Noch an den Tagen zuvor wurde über Demonstrationen, Wahlkundgebungen und den ein oder anderen Gewaltexzess berichtet. Auf Facebook lese ich allerdings, dass heute mehrere große Wahlkundgebungen stattfinden, in Mombasa und auch in Nakuru. Noch hält sich in Kisumu, der Stresshochburg weit im Westen, alles knapp unter dem Niveau von Hamburg G20. Aber ich werde definitiv nicht in den Westen reisen. Bei Kericho (Teeregion) ist die selbstgesetzte Grenze, und auch das Hotel dort werde ich erst auf den letzten Drücker buchen. Von da will ich zurück Richtung Nakuru, dann in den Norden in die Kaffeeanbaugebiete. Dort gibt es kaum große Städte, vermutlich auch nicht die von mir gesuchten großen Betriebe. Aber da kann ich in bezaubernder Landschaft abwarten, bis sich die Gemüter beruhigt haben und mich meine beiden Begleiter mal kurz auf dem Flughafen in Nairobi, der weit außerhalb der Stadt liegt, absetzen können. Also keine Sorge, aber heute mal Spiegel Online lesen, eine recht dramatische Schilderung der Situation hier. Der Spiegel ist immer mal ein bisschen dramatisch. Gleichwohl, meine Freunde erzählen, heute hätte es in den Nachrichten geheißen, ein Verrückter sei in einer kleinen Stadt an der Küste in eine Polizeistation eingedrungen. In Wirklichkeit hätten jedoch 300 Leute die Polizeistation angegriffen und auch Polizisten umgebracht. Es bleibt spannend. Immerhin: meine Freunde sind politisch sehr interessiert und auch bestens informiert.

Auch interessant: bisher bin ich kein einziges Mal von irgendwelchen Polizisten oder sonstigen Kontrolleuren belästigt worden, hoffe, das bleibt so.

Mombasa, Kilifi, Nairobi, Nakuru

Tatsächlich wird mein Name gerufen, als ich mich durch die ganzen Leute dränge mit meinem Gepäck und ständig mit „Taxi, Taxi!!!“ angebrüllt werde. Philip hatte es nicht schwer mit meiner weißen Brille und dem kahlen Schädel. Der Bahnhof hatte einen beängstigend kleinen Ausgang, alles quetschte sich an der einzigen Treppe nach draußen, komisch, und dann das gleiche wie in Nairobi, eine leerer Vorplatz, der Parklatz 100 m entfernt.

Wir setzen uns in einen kleinen Toyota und zu meiner Überraschung wird mir auch Gregory vorgestellt, der eigentliche Fahrer. „Zwei sind besser“, meinen meine Begleiter, und das zeigt sich auch schnell in den kommenden Tagen.

Erst mal holpern wir über Sandwege Richtung Innenstadt. Für die 15 km zum Hotel werden wir eine Stunde brauchen, es ist kurz nach Mittag und eine der drei Rush-hours in Mombasa ist ausgebrochen. Da hätte uns auch eine befestigte Zufahrt zum Bahnhof nicht geholfen, wohl aber eine Bahnhof in der Innenstadt.

Wie sich herausstellt, haben meine Begleiter von der Innenstadt kaum einen Schimmer, sie kommen eigentlich aus dem 50km entfernten Kilifi. Von dem Navi in meinen iphone sind sie begeistert.

In dem Hotel, welches ich gebucht habe, erwartet uns Raphael. Er ist um die 40, Gewerkschaftsfunktionär und Autovermieter. Mit ihm mache ich später im Stau, als wir versuchen, ihn in Richtung Flughafen zu transportieren, das Finanzielle, irgendwie im Auto beim Stop-and-go.

Aber erst mal betrete ich erstaunt das Hotel, welches ich gebucht habe. Das wirkt eher wie der Eingang zum Basar von Istanbul: ein improvisiertes Internetcafe, eine Handyaufladestation, eine Pizzabude und in einer Ecke die etwas heruntergekommene Rezeption, vollgestellt mit diversem Trödel. Ich lasse mir erst mal das Zimmer zeigen. An der Tür ein Zettel in allen wichtigen Sprachen: alle Wertsache unbedingt in der Rezeption abgeben. Was ist bei mir gegenwärtig nicht wertvoll? In Gedanken sehe ich mich jeden Morgen beim Packen. Na gut, denke ich, Luxus muss ja nicht sein. Ich checke ein. Unten in der Kneipe sitzt Raphael mein Autovermieter und macht irgendwelche Geschäfte. Im Zimmer tröpfelt das Wasser nur aus dem Hahn, deshalb liegt also der große Plastikbecher im Waschbecken. An der Dusche sieht es nicht besser aus. Die Klimaanlage funktioniert nicht, das Internet auch nicht. Das muss ich mir auch für 22 € die Nacht nicht antun. Ich bitte Raphael um eine Empfehlung, aber Hotels sind nicht sein Ding. Also Telefon gezückt, booking.com macht mir bessere Vorschläge. Wenn ich denn schon in der kenianischen Touristenhochburg gelandet bin, will ich es wenigstens etwas netter haben.

Wir versuchen, mit dem Auto Raphael, den Gewerkschafter zum Flughafen zu bringen, aber nach einigen Kilometern im Stop and go wechselt er auf ein Motorradtaxi. Für die 7 km zum Hotel brauchen wir dann noch eine weitere Stunde. An jedem Kreisverkehr, und davon gibt es viele, steht ein einsamer Polizist, der mal gelassen, mal aggressive den Verkehr zu bändigen versucht. Da es nirgendwo abfließt, entstehen an den Kreisverkehren großen Blechknäuel des Stillstands.

Diesmal habe ich mit dem Hotel nichts falsch gemacht: für knapp 80 € die Nacht, inklusive Abendessen und opulentem Frühstück bekomme ich ein tolles Zimmer direkt am Meer. Das genieße ich denn auch für die anstehenden Tage, an denen es auch einiges im Broterwerbsberuf zu tun gibt.

Es ist Dienstag der 10.10. 2017 und pünktlich um 08.30 h treffen wir uns auf dem Parkplatz vor dem Hotel. Mit Philip und Gregory, meinen beiden Fahrern muss ich leider noch mal in die schräge Absteige in die Stadt. Ich habe Netzadapter, Verteiler und Handyladekabel im Zimmer liegen gelassen. Zum Glück alles noch da. Dann fahren wir zur Agha Kahn Acadamy, denn dort arbeitet Tom Abuto, ein Freund, der mir das Ticket für den Zug besorgt hat. Die Akademie wird von einer islamischen Sekte finanziert und ist eine höhere Privatschule. Wenigstens seine Frau will ich treffen und ihr das Geld zurückbringen. Ich betrete einen riesigen Campus mit mehreren Schulen und erlesener architektonischer Gestaltung. Susan ist leider im Unterricht, also gebe ich das Geld bei einer Sekretärin ab. Aber kaum stehe ich vor dem Tor, kommt Susan mir hinterhergerannt und es gibt doch noch ein kurzes herzliches Gespräch.

Am Abend zuvor ist mir eine krasses blaues Fotostudio aufgefallen. Dort will ich gerne hin. Es hat aber leider geschlossen. Meine Begleiter schlagen mir kurzerhand vor, in den Nachbarort zu fahren, wo sie wohnen und bestens vernetzt sind. Zwei dieser Studios besuche ich und porträtiere die Besitzer. Uns begleitet Simon, ein Freund von Philip, der einen Stand zum Verkauf von CDs und Zeitschriften am Rand der Hauptstraße von Kilifi betreibt, und den porträtiere ich natürlich auch noch, stets darauf bedacht, dass keines der vorbeidrängenden Motorradtaxis mir den Rucksack abfährt.

Dann fahren wir wieder ein Stück Richtung Mombasa. Ich möchte gern ein paar Fischer porträtieren. Die beiden kennen sich aus, sagen sie, aber als wir an den Strand kommen, ist von Fischern nicht wirklich was zu sehen. Da gesellt sich ein etwas abgerissener Typ zu uns, barfuß, kurze Dreadlocks. „Ich weiß wo die Fischer sind, bringe Euch gerne hin“ sagt Eric, so heißt der Typ oder er behauptet es, denn das ist ja eigentlich ein guter Trick: der Europäer stellt sich vor und zufällig hat man den gleichen Namen.

Dann stapfen wir los über einen unglaublichen Reiseführerstrand mit Palmen, Felsen, kleinen Hüttchen mit Palmwedeldächern. Wir kommen an meinem Hotel vorbei, eigentlich würd eich jetzt gern die Treppe zu meinem Zimmer nehmen, und in mir steigt eine leise Frustration bezüglich der Ortskenntnis meiner angeheuerten Begleiter hoch. Was kann Eric, was Philip nicht kann? Warum bezahle ich Philip, wenn Eric bestimmt nicht gratis um uns herumschwenzelt?

Schließlich kommen wir am Lagerplatz der Fischer an. Das ist nichts anderes als eine Sammlung armseliger Hüttchen, nix mit Hafen, Kuttern, Molen. „Wie viel willst Du den Fischern denn zahlen?“ fragt mich Eric. „Eigentlich zahle ich erst, wenn ich was bekommen habe“ antworte ich. Eric spricht mit einem der Chefs und meint, ich könne hier fotografieren, was ich will. Das ist mir nicht recht. Ich gehe zu einer der etwas besser aussehenden Hütte. Einer der Insassen hört über sein Handy das Mittagsgebet, murmelt, singt leise mit. Ich frage, ob ich Fisch kaufen könne und ob man den irgendwie zubereiten könnte. „Das mit der Zubereitung übernehme ich“ ruft Eric.

Ich kaufe acht kleine Fische, von denen ich weder weiß, wie sie heißen, noch wie sie schmecken werden. Die Stimmung in der Hütte hellt sich auf. Die Fische werden geputzt und Eric zieht mit den Fischen und unbekanntem Ziel davon.

Jetzt, es ist ca. 15 h, kommt der erste Fischer mit seinem Boot zum Ufer. Es ist ein Einbaum. Ich will fotografieren, wie er anlandet. Philip spricht ihn auf Kisuaheli an, aber er will nicht. Also zurück zu den Leuten in der Hütte. Wir reden inzwischen über alles Mögliche. Die meisten von ihnen haben irgendwann auf großen Trawlern gearbeitet, aber die Bedingungen oft nicht ausgehalten und nach einigen Jahren den Dienst quittiert. Gefischt wird hier mit selbstgebauten Hummerfallen und mit Harpunen. Mit Taucherbrille und Schnorchel sucht man unter Wasser nach Tintenfisch, Moränen und anderen beim Ufer lebenden Fischen. Die Harpune ist nichts anderes als ein Stock mit einer langen Stahlspitze an einem dünnen Seil. Angezogen sind die Fischer mit zusammengestoppelten Neoprenfetzen, alten Pullovern, Mützen. Kein bisschen Taucherromantik.

Die großen Trawler vor der Küste machen das Geschäft kaputt. Die Regierung verbietet das wilde Fischen, denn oft werden die Fische von den Harpunen nur verletzt. Für ein Kilo Fisch gibt es umgerechnet zwei Euro. Ein Tageseinkommen für Ungelernte liegt bei ca. fünf Euro. Oft fangen die Fischer wenig oder nichts. Die Gezeiten lassen das Fischen nur an einigen Stunden am Tag zu.

Schließlich kommen weitere Fischer in abenteuerlicher Montur von Meer zurück. Einer nutzt ein altes Surfbrett mit aufgebauter Snapbox am Heck als Boot. Mehr ist nicht. Es werden gute Bilder und ich zahle allen noch einen Euro Modelhonorar. Der Chef gibt mir seine E-mailadresse. Wir verabschieden uns einigermaßen herzlich.

Auch Eric kommt wieder angeschlurft. Er nimmt uns mit zu einem abenteuerlich aussehenden Straßenrestaurant in der Nähe. Dort sind unsere Fische gebraten worden und es gibt noch etwas Reis und Gemüse dazu. Wasser in Flaschen gibt es nicht, und das aus dem Krug trinke ich lieber nicht.

Die Sonne hat mir etwas zugesetzt, denn mit einem langen Strandaufenthalt hatte ich nicht gerechnet. Also zurück in meine First-wolrd-Blase mit Kellnern, die versuchen Deutsch zu sprechen und Gästen in blauen Unterhemden, die im Restaurant sitzen, als hätte sie sich von der Eigenheimterrasse hierhin verirrt.

Mittwoch 11.10.

Heute habe ich mir vorgenommen, Matatufahrer zu porträtieren und in eine Werft zu fahren. Eine Werft gibt es nicht, Matatufahrer, Tuktukfahrer und Busse aber ohne Ende am Fährhafen in der Altstadt. Philip leitet mich durch das lärmende Gewühl, wir sprechen einige Leute an, fast alle sind einverstanden mit einem Bild. Gleichwohl: man fällt auf als Weißer in den Menschenmassen und zunehmend gesellen sich merkwürdige Typen um uns. Fragen dies, fragen das, alle wollen irgendwie ein bisschen Geld machen, so ist das nun mal. Als ich mit dem Iphone einen kurzen Schwenk drehe, gibt es Diskussionen, die Philip aber gekonnt abwimmelt.

In den Hafen, wo Philip eine Werft vermutet, werden wir gar nicht erst reingelassen, klaro, das wäre in Deutschland nicht anders.

Aber Gregory, mein zweiter Assistent, hat eine Idee: er will mir den Steinbruch zeigen, in dem er früher gearbeitet hat. Zwei Stunden Fahrzeit. Na gut, das Auto habe ich eh für eine Flatrate, fahren wir also.

Auf dem Weg dort hin macht er einen Zwischenstopp an einem überdachten Platz. Erst beim Näherkommen sehe ich: das ist eine Schmiede. Ein umgebautes Fahrrad treibt eine kleines Gebläse an, mit dem in einem einfachen Erdloch Holzkohle angefacht wird. Ausgediente Lkw-Federn, werden hier zu Hacken, Meißeln und anderen einfachen Werkzeugen umgeformt. Drei Männer sitzen auf dem Boden oder auf Steinen und schlagen im Wechsel auf einen kleinen Amboss ein. Einer von Ihnen, vom Funkenflug fast blind, erzählt, wie sie unter der Konkurrenz industriell gefertigter Werkzeuge zu leiden haben.

Dann fahren wir weiter zu dem angekündigten Steinbruch. Ein Straße, die eigentlich nur noch für Lkw taugt, führt durch buschiges Gelände, vorbei an vereinzelten Gehöften. Immer mal wieder hält Gregory an, um alte Bekannte zu begrüßen. Manchmal hupt er vor einen Häuschen so lange, bis der lange nicht gesehene Kumpel aus irgendeiner Richtung aus dem Busch angetrabt kommt.

Wir kommen  an einer Ebene aus Kalktuff an, die ein wenig außerirdisch wirkt. Wie planiert, mit einigen wenigen Absätzen, wirkt das recht große Gelände. Dort stehen Maschinen aus Italien auf Schienen, die schachbrettartig Rillen in das Plateau fräsen. Dann wird umgerüstet und ein horizontales Schneideblatt trennt die Quader vom Grund ab. 10.000 Steine, Quader etwa so groß wie vier Ziegel, werden so pro Tag von einem vergleichsweise kleinen Team hergestellt. Mascha, der Manager, erklärt mir stolz den ganzen Betrieb. Gregory, mein Fahrer, wird durch die Kollegen mit viel Hallo begrüßt und präsentiert stolz den Lkw, den er damals fuhr.

In sengender Hitze treten wir die Heimfahrt an, da stoppt Gregory noch einmal: am Wegesrand eine Grube, in der ein Mann – ebenfalls ein Bekannter von Gregory – mit Beil und Spitzhacke die gleiche Arbeit macht, wie oben die Maschinen. Diese Steine, wie wesentlich unregelmäßiger ausfallen, kaufen die Einheimischen, die die maschinengemachten aus dem Steinbruch weiter oben nicht bezahlen können. Eine Höllenarbeit für einen Hungerlohn.

So etwas wie eine Arbeitslosenversicherung, und auch die anderen üblichen Versicherungen bekommt man nur, wenn man einen richtigen Arbeitsvertrag hat. Aber viele Kenianer machen nur „casual work“ und müssen sehen, wo sie bleiben. Dann heißt es bei Jobverlust: besinne Dich auf alle möglichen Qualifikationen, die du mal gehabt hast, und mache irgendwelche Gelegenheitsjobs. Zumindest meine beiden Begleiter schwören auf die Bedeutung einer guten Bildung.

Auf dem Heimweg reden wir über alles Mögliche. Meine beiden Begleiter sind geschieden. Der eine hat seine Frau verlassen, weil sie nicht schwanger wurde. Der andere wurde von seiner Frau verlassen, weil er mit den Raten für das Brautgeld in Verzug war. Die reichen Eltern seiner Frau sahen die Zeit gekommen, den ungeliebten Schwiegersohn abzustoßen. Jetzt sieht er seine Söhne nur im Abstand von drei Monaten, weil die Frau blockiert. Dass man in Deutschland überhaupt kein Brautgeld zahlen muss, können sich beide kaum vorstellen.

Warum es in Deutschland auch keine Stämme gibt, und die Rangeleien zwischen Sachsen und Preußen nur selten in die Politik durchschlagen, erfordert einen längeren historischen Exkurs: er beginnt bei der französischen Revolution und endet bei der AfD.

12.10.2017

Am Donnerstag will ich morgens mal etwas später los. Ich penne im Auto immer ein und schlafe nachts nicht besonders gut.

An der Rezeption überrede ich noch die Hotelmanagerin zu einem Porträt. Aber es wird nix besonderes und man merkt ihr an, dass sie nicht so recht begeistert ist.

Dann quälen wir uns aus dem Moloch Mombasa. Es geht im Schritttempo durch die Vororte. Das Tempo bestimmen schwer beladene, altertümliche Lkw. Endlich auf der Landstraße, verändert sich so gut wie gar nichts. Durchschnittsgeschwindigkeit 40 km/h. Man zuckelt in endlosen Kolonnen auf einer zweispurigen Straße entlang, die offensichtlich für weniger Verkehr konzipiert war. Es gibt weder Ausweichstellen zum Überholen, noch eine Limitierung der Geschwindigkeit nach unten. Völlig chaotisch wird es an einer Brückenbaustelle, an der der gesamte Verkehr einfach über die umgebenden Felder umgeleitet wird. Eine gigantische Staubwolke deutete dieses Inferno schon von weitem an.

Werden Orte durchquert, erhöht sich die Zahl der Polizisten. Wenn die einen Lkw–Fahrer anhalten und dieser kurbelt entnervt die Scheibe herunter, lautet die gehässige Ansage des Polizisten: „Ich brauche etwas Wasser zum Trinken!“ Wer dann tatsächlich Wasser reicht, wird mit ewigen Kontrollen und Fragen so lange genervt, bis er einige Geldscheine rüberwachsen lässt. Nur so ist vermutlich auch zu erklären, dass Fahrzeuge unterwegs sind, die bei uns innerhalb von Sekunden durch den TÜV rauschen würden.

Die Korruption treibt seltene Blüten. Dass sie auch unter Hochschullehrern grassiert, wusste ich bereits. Dass man aber umgerechnet 1.000 € bzw. drei bis fünf Monatslöhne blechen muss, um beim Eignungstest für die Armee mitmachen zu können, natürlich ohne Erfolgsgarantie, war mir neu.

Auf halber Strecke nach Nairobi machen wir in einem Ort halt. Tanken, was essen. Ich habe mein Tagessoll – mindestens zwei Porträts – nicht wirklich im Kasten. Philip schlägt mir vor, einige der hier in Mtito Andei ansässigen Künstler zu porträtieren. Ich ahne eine nervige Kauf-Mir-was-ab-Nummer, aber werde positiv überrascht. In einer Seitenstraße schauen wir drei Männern zu, die aus riesigen Holzblöcken, mit Sägen, Hacken und Beilen Tierskulpturen fertigen. Ja, das ist eindeutig Touristenware. Aber ich darf ohne großes Gerede fotografieren. Dann bittet mich der Chef zu einer kleinen Verkaufsbude. Jetzt kommt es, denke ich. Statt dessen soll ich mir aus einem der Körbe eine kleine Skulptur aussuchen, als Geschenk. Ich nehme den kleinsten Elefant, den ich finden kann und gehe zum Auto. Als ich mit einem Bündel Damenstrumpfhosen für die Frauen der Künstler zurückkomme ist die Begeisterung groß.

Aber mehr als die bekannte Souvenierproduktion interessiert mich das Treiben auf der anderen Straßenseite. Dort steht eine lange Reihe selbstgebastelter Buden, in denen gefühlt immer das Gleiche verkauft wird: Getränke, einige kleine Früchte, Handyguthaben. Ein der Budenbesitzerinnen lässt sich porträtieren. Wir kaufen ihr zum Dank drei Flaschen Wasser ab. Als sie wegen Wechselgeld mit einem großen Schein zu den Nachbarn geht, wird ein wenig Neid entfacht. Und als ich anfange, einige verschlossene Buden zu fotografieren, gibt es unwirsche Fragen. Philip wimmelt auch diesmal alles ab. Ohne ihn und mit den miserablen Englischkenntnissen des einfachen Volkes sähe ich ziemlich alt aus.

Eigentlich wollte ich heut so weit kommen, dass Nairobi hinter mir liegt, mehr als die halbe Strecke wäre das auf dem Weg nach Nakuru gewesen. Doch der zähe Strom lichtet sich kaum. Also buche ich kurz vor Nairobi, in Zaith River ein Hotel. Mache ich halt morgen Vormittag noch ein paar Termine in Nairobi. Das Hotel sieht bei booking.com aus wie eine Landhotel in pastoraler Umgebung. Inzwischen ist es dunkel, der Regen vor Nairobi wird immer stärker, der Scheibenwischer kann nur noch Intervallschaltung. Straßenbeleuchtung, Markierungen, Wegweiser: alles Fehlanzeige. Aber das Navi in meinem Iphone bringt meine beiden Begleiter zum Schwärmen. Wir wuseln uns durch eine Autobahnkreuz, fahren in die richtige Seitenstraße, wuseln uns durch einen stockdunklen Slum mit Pfützen wie Mondkrater und stehen schließlich vor einer hohen Mauer. Dahinter große Bäume und ein Haus, an dem kein einziges Fenster erleuchtet ist. Booking.com und mein Navi sagen: hier muss es sein. Der Blick in die verregnete Nacht sagt was anderes. Also anrufen. Das Telefonat übernimmt Philip, er ist den Akzent, gemischt mit Kishuaheli, einfach länger gewöhnt als ich. Die Dame von der Rezeption gibt die Koordinaten durch, sie sendet eine Pin, also GPS-Koordinanten, die ich dann bei Google-maps sehen kann. Immerhin -wir haben uns nicht drastisch verfahren. Es ist auch von da wo wir sind, nicht weit zum Hotel. Nur wo ist der Eingang. Als ich im Dunkeln das Fenster runterkurble um einen jungen Mann nach dem Weg zu fragen, gibt Gregory Gas. Das Landhotel, das ich erwartete, liegt direkt neben der Autobahn. Es ist kühl, es regnet immer noch, wir checken ein.

Das Etablissement hat seine besten Tage hinter sich ist aber ganz ok. Wir essen noch eine Suppe in der leeren Bar. Neben uns rattern zwei Kühlschränke, vor uns laufen zwei Fernseher, auf jedem ein anderes Programm. Ich will nur noch ins Bett, telefoniere dann aber doch noch mit meinem Simon.

Freitag der 13.10.2017

Es ist nicht nur die Autobahn, die dem Hotel den Charme nimmt, es ist vor allem mal wieder der Muezzin, der morgens um 5 losjammert. Eine Stunde später wummern irgendwo Bässe mit lauter Musik. Erst dachte ich an ein getuntes Auto, das mal kurz im Stau steht, aber das Wummern ging nicht weg. Also wieder zeitig aufstehen. Ich versuche einen Tag zu planen: einen Termin bei Fat Boy Animations, mit dem Manager hatte ich vorige Woche telefoniert, da war er aber nicht in Nairobi. Mit dem Gewerkschafter/Unternehmer Raphael treffen, der auf irgendeiner Konferenz ist, Johanna von den Dentists for Africa abholen, damit sie mit uns nach Nakuru fahren kann. Problem nur: wo fahre ich zuerst hin, wo genau sind die drei Leute in Nairobi, schaffe ich das überhaupt mit dem ganzen Stauzeugs. Johanna wohnt bei den Fat Boys um die Ecke. Raphael meldet sich erst nicht, seine versprochene „Pin“ kommt nicht, dann telefonieren wir und er sagt, er sein im Parlamentsviertel, mitten in down-town, null Parkplätze, viel Polizei, nix mit auf der Straße fotografieren – da will ich eigentlich nicht hin.

Im Glaspalast der Fat Boys sind wir trotz Stau pünktlich und auf andere Weise wieder ne halbe Stunde zu zeitig, denn Mike lässt auf sich warten. Immerhin bekommen wir Getränke und was zu essen. Das Büro der Fat Boys ist eine winzige Bude, untergemietet die DHL. Ich weiß nicht so recht, wo ich mich mit meiner Linse hinquetschen soll, Gegenlicht aus dem Fenster, Blitz aufbauen, entsprechend wird das Bild. Nicht so der Brüller. Aber wir haben einige gemeinsame geschäftliche Themen besprochen, ich kann wieder mehrere Leute verknüpfen, das ist doch auch gut.

Es ist inzwischen so spät, das ich für die Absage an Raphael eine gute Begründung habe. Johanna kommt mit dem Taxi. Zu viert fahren wir los Richtung Nakuru. Ich will unterwegs noch mal Pause machen, Bilder in Sägewerken, die die Strecke durch das Gebirge säumen. Die anderen wollen lieber vor Einbruch der Dunkelheit in Nakuru sein. Die üblichen 40 km/h lassen uns keine Wahl.

Jetzt sitze ich in einer Klause in der Bezirksparteischule des hiesigen Bistums. Morgen ist hier ein Seminar mit den Erwachsenen aus unserem Patenschaftsprojekt. Draußen rumpelt der Wind am Dach, Regen prasselt aufs Blech, von ferne heult Musik, die LKWs vom Steinbruch fahren noch ewig lange vorbei. Ab und zu fällt der Strom aus.

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