Samstag 14.10.17

Ich muss schreiben, denn der Kopf ist so voll mit verrückten Dingen, die kann ich mir kaum merken. Und dass das so ist, stelle ich fest, wenn ich sehe, dass ich einige witzige oder interessante Sachen in den Texten zuvor gar nicht erwähnt habe.

Z.B. unseren Versuch, den Chef einer großen Textilfabrik zu fotografieren. Die sah von außen aus wie ein riesiges Hochsicherheitsgefängnis. Als wir den richtigen Eingang gefunden hatten, war das nur ein großes Stahltor und ein Pförtnerhäusschen, das eher mit Schießscharten, denn mit Fenstern versehen war, eingelassen in die vier Meter hohe Mauer mit Elektrozeugs und Stacheldraht.

Nach einigen Diskussionen werde ich eingelassen. Ich überreiche einem der Wachleute alles was ich so an Genehmigungen habe, auch meinen Pass. Damit verschwindet er. Nach ca. 5 Minuten öffnet sich das Stahltor und wir dürfen alle drei mit unserem Auto hereinfahren, es auf einen Parkplatz abstellen. Jeder von uns bekommt ein Halsband mit einer Karte dran.

Ich bekomme meine Dokumente zurück, darf sie aber gleich wieder abgeben bei einer Sekretärin in einem kleinen Bürogebäude. Sie kopiert meinen Pass, fragt nach Telefonnummern (da gebe ich immer eine falsche an….mit nem kleinen Zahlendreher drin, die müssen mich ja nicht auch noch per GPS verfolgen).

Während wir auf einen Vertreter des Managements warten, sehe ich durch ein Fenster, wie hunderte Arbeiter aus den gigantischen Hallen zu überdachten Essplätzen im Schatten der hohen Mauer strömen. Es ist Mittag und endlich kommt ein untersetzter Herr in weißem Hemd. Ich erzähle, was ich von ihm will. „Fotograf? Das trifft sich gut.“ fängt er an, „Ich unterstütze zwei junge Männer, die Fotograf werden wollen, haben leider grade Schule.“ Welche Kameramodelle ich denn empfehlen könne, will er wissen, natürlich gebrauchte. Ich fasse Mut und notiere auf einen Zettel, was ich für sinnvoll halte. Dann erzähle ich, dass ich in Deutschland für die Kids im Slum auch Kameras sammeln will. So halb im dummen Scherz fragt er Philip, der neben mir sitzt, ob Philip nicht aus meinem Gepäck eine Kamera klauen könnte. Ich wende mich an Philip und sage „Hey, Philip, wir haben uns in der Adresse geirrt, das ist hier gar keine Fabrik, das ist ein Knast mit lauter Kriminellen drin!“ Alle können lachen über den kleinen Scherz.

Es ist bei all dem Gewarte und Gelaber eine knappe halbe Stunde vergangen, ich komme zum Thema. „Nein, fotografieren könne man in den Hallen nicht.“ (dachte ich mir) „Und auf dem Hof leider auch nicht.“ „Wie wäre es mit einem Porträt draußen vor der Mauer?“ schlage ich vor (das wäre eine coole Nummer, denn es sähe tatsächlich aus, als sei er aus dem Knast entlassen oder müsse grade rein.). „Nein, er könne leider nicht Modell stehen, auch nicht draußen, auch nicht in einiger Entfernung, auch nicht anonym.“ Die Fabrik erklärt er, sei eine Freihandelszone, Staatsbetrieb, da dürfe man gar nichts fotografieren. Lediglich einen Schuss in die Landschaft aus großer Distanz gestattet er mir.

Als wir das Werksgelände verlassen, schüttelt Philip dem Wachmann durchs Fenster die Hand: es ist einer seiner Cousins. Und irgendwie begegnen uns dann täglich mehrere Cousins, ehemalige Kollegen, Schulfreunde. Das Land eine einzige große Sippschaft.

Wir fahren in den nächsten Stunden und Tagen noch an vielen anderen großen Fabriken in Mombasa und Umgebung vorbei. Immer, wenn ich zu einem neuen Versuch ansetze, sagen meine beiden Begleiter: „Vergiss es.“

Das ist also eine offene Aufgabe: mal einen größeren Betrieb fotografieren, idealerweise von innen. Ich habe noch zwei Wochen Zeit, um das hinzukriegen. Meine letzte Chance ist Nairobi, wo ich ja jetzt einen Millionär kenne. Aber diese Karte will ich wirklich erst zuletzt ausspielen.

Heute habe ich im Netz nach Betrieben in Nakuru recherchiert. Im Internet an sich gibt es kaum was zu entdecken, eher auf Facebook. Mit online hat es die Industrie hier nicht so. aber heute habe ich auch mal wieder ein wenig im Broterwerbsberuf gearbeitet: für die erwachsenen Patenkinder habe ich zusammen mit Johanna ein Seminar gemacht. Ca. 12 Leute waren gekommen, teils aus Uganda von der dortigen Uni angereist. Bei dem Workshop ging es um Themen von der Karriereplanung bis zu den Essentialien eines Businessplanes, immer mit dem Ziel, unseren Leuten etwas zu geben, was andere von Eltern bekommen. Man muss wissen, das Waisen in der Hierarchie verdammt weit unten stehen. Unsere Patenkinder werden definitiv mal ziemlich weit oben stehen. Das war jedenfalls mein Eindruck aus deren Diskussionsbeiträgen, den Plänen, die sie haben, der Art und Weise, wie sie auftreten.

Das Foto gestern von Mike, dem Chef von Fatboy Animations in Nairobi, war nicht so toll. Aber die Gelegenheit zum Nachbessern ist mir quasi vor den Augen davongefahren. Als wir nämlich vor dem Glaspalast der Fatboys auf dem Parkplatz standen, um auf Johanna von Dentists for Africa zu warten, kam der Chef raus und stieg in einen fetten BMW X5 (SUV). Ja, er stehe auf deutsche Autos sagt er, als er unter meinen erstaunten Blicken aus der Parklücke fährt. DAS wäre das Bild gewesen: Mike vor seinem BMW vor dem Glaspalast. Tja, die besten Ideen hat man immer hinterher.

Allein zu reisen ist nicht so mein Ding. Immerhin habe ich mit Philip und Gregory ganz sympathische Begleiter. Aber jeden Morgen muss ich mich zwingen, einen klaren Plan für den Tag zu machen. Der Plan lautet: mindestens zwei Porträts! Mehr geht oft nicht. Termine kann man vergessen, Reisezeiten auch. Ruft man bei größeren Firmen an, lautet die Antwort: schicken Sie uns ihre Anfrage doch mal per E-mail. Letztere wird natürlich nicht beantwortet. Heute habe ich ca. 10 Firmen in Nakuru mit Nachrichten über Facebook zugebombt, in der Hoffnung, dass jemand reagiert. Ansonsten gehe ich am Montag auf Verdacht Klinken putzen, Pförtner nerven usw. Heute ist Halbzeit, und ich habe 31 Porträts gemacht, von denen ich vermutlich zehn nicht in die engere Wahl nehmen werde. Da in Kenia auch samstags gearbeitet wird, bleiben mir noch zwölf Tage bis zum Abflug.

Und dann gibt es wieder Überraschungen: irgendwo geht eine Tür auf, und dahinter gibt es geile Bilder, mit denen ich am Morgen auf keinen Fall gerechnet hatte. Aber ich muss mich zwingen. Vor allem in dem geilen Hotel am Strand, ist mir das Aufraffen schwer gefallen.

Die Telefonnummer meines Patenkindes funktioniert nicht mehr. Sicher ist sein Guthaben verbraucht, vielleicht das Telefon kaputt, ich weiß es nicht. Falls er nicht zurückruft, muss ich irgendwie seine Schule finden. Wieder ein kleines Puzzel. Und wieder habe ich mich auf Selbstverständlichkeiten verlassen, das ein Jugendlicher per Telefon erreichbar ist, die hier eben nicht selbstverständlich sind. Ich hätte die Klamotten für Felix heute einem Seminarteilnehmer mitgeben können, der in Nyabondo arbeitet, der hätte sie den Großeltern von Felix vorbeibringen können. Aber eine persönliche Übergabe wäre natürlich viel schöner. Ich bleibe dran.

Mit dem Essen komme ich übrigens auch gut klar. Schon morgens gibt es die Gemüsepfanne, die ich mir sonst eigentlich erst am Mittag mache. Ich esse so gut wie keine Teigwaren, fast täglich Geflügel und Eier (ja, da denken die Kenianer, mir eine besondere Ehre zu erweisen…), viel Fisch und leider, leider, leider kein bisschen Süßes, keine Schokolade, nix. Na gut, am Freitag konnte ich an der Tankstelle einer Packung Kekse nich widerstehen, aber die haben wir im Auto zu viert gegessen. Obst gibt es meistens zum Nachtisch oder auch mal zum Frühstück, das ist dann Mango, Melone, Ananas. Auf jeden Fall kann ich meinen Gürtel bequem auf den letzten Loch schließen. Dennoch nervt der Bewegungsmangel. Viel Autofahren, Arbeit an Texten und Bildern – aber heute wollen wir mal auf den Menengai-Krater wandern.

Die politische Situation ist am Knistern. Gestern Abend im Fernsehen wurden die Wahlen mit keiner Silbe mehr erwähnt, das wirkt wie eine Nachrichtensperre. Noch an den Tagen zuvor wurde über Demonstrationen, Wahlkundgebungen und den ein oder anderen Gewaltexzess berichtet. Auf Facebook lese ich allerdings, dass heute mehrere große Wahlkundgebungen stattfinden, in Mombasa und auch in Nakuru. Noch hält sich in Kisumu, der Stresshochburg weit im Westen, alles knapp unter dem Niveau von Hamburg G20. Aber ich werde definitiv nicht in den Westen reisen. Bei Kericho (Teeregion) ist die selbstgesetzte Grenze, und auch das Hotel dort werde ich erst auf den letzten Drücker buchen. Von da will ich zurück Richtung Nakuru, dann in den Norden in die Kaffeeanbaugebiete. Dort gibt es kaum große Städte, vermutlich auch nicht die von mir gesuchten großen Betriebe. Aber da kann ich in bezaubernder Landschaft abwarten, bis sich die Gemüter beruhigt haben und mich meine beiden Begleiter mal kurz auf dem Flughafen in Nairobi, der weit außerhalb der Stadt liegt, absetzen können. Also keine Sorge, aber heute mal Spiegel Online lesen, eine recht dramatische Schilderung der Situation hier. Der Spiegel ist immer mal ein bisschen dramatisch. Gleichwohl, meine Freunde erzählen, heute hätte es in den Nachrichten geheißen, ein Verrückter sei in einer kleinen Stadt an der Küste in eine Polizeistation eingedrungen. In Wirklichkeit hätten jedoch 300 Leute die Polizeistation angegriffen und auch Polizisten umgebracht. Es bleibt spannend. Immerhin: meine Freunde sind politisch sehr interessiert und auch bestens informiert.

Auch interessant: bisher bin ich kein einziges Mal von irgendwelchen Polizisten oder sonstigen Kontrolleuren belästigt worden, hoffe, das bleibt so.