Heute haben wir einen Ausflug mit der Tallinner S-Bahn an einen verrückten Ort gemacht.

 

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Paldiski hat ein wechselvolles Schicksal erlitten wie kaum eine andere Stadt.

 

 

Bis 1994 war es quasi eine verbotene Zone mit Bahnanschluss und Hafen. Hier wurden an zwei Übungsreaktoren Besatzungen für Atom-U-Boote ausgebildet. Nach dem Abzug der inzwischen russischen Armee stürzte die Einwohnerzahl von ca. 8.000 auf ein Drittel ab. Damit verschwanden auch das große Militärkrankenhaus, und das Kulturhaus, zugleich Offizierscasino, wurde geschlossen.

 

 

Als wir vor dem gigantischen Kulturhaus standen gesellte sich Victor zu uns, der fließend russisch sprach und auch einige Brocken Englisch beherrschte. Victor ist Lokführer auf einer amerikanischen Diesellok im Hafen. Er erklärte uns den Ort und was sich so ereignete. Er konnte sich noch daran erinnern, wie das Kulturhaus (links) und die Schwimmhalle mit aufgesetzter Turnhalle (rechts hinten) in Betrieb waren.

 

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Inzwischen sind viele der Häuserblocks renoviert und es gibt ein neues „Stadtzentrum“ mit einer klaren Ansage am Rathaus, wer der neue Gott ist.

 

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Victor hat nach der Rate für seine Eigentumswohnung noch etwa 600 € im Monat zum Leben, aber er ist zufrieden. Das liegt gewiss auch an dem boomenden Hafen, der vor allem die Fährlinien nach Skandinavien bedient und dank russischer Spurweite des estnischen Eisenbahnnetzes auch ein für die GUS-Staaten wichtiger Umschlagplatz geworden ist. Vor allem auf den Transport von Autos, Flüssiggas und Öl ließen die Anlagen schließen.

 

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Wir haben die neue Freizügigkeit der Halbinsel genossen und haben eine schöne Wanderung auf dem Rand der Steilküste zu einem Leuchtturm im Norden der Halbinsel gemacht. Eine bemerkenswert vielfältige Trockenrasenpopulation konnten wir beobachten, aber auch zahlreiche Überbleibsel der einst militärischen Nutzung des Gebietes.

 

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Nun sind die Reste der Übungsreaktoren aber eingesargt und statt dessen wurde ein großer Windpark angelegt – übrigens von einem bulgarischen Unternehmen. Das erfuhren wir, als wir auf dem Rückweg vom Leuchtturm trampten und von einem netten bulgarischen Ingenieur mitgenommen wurden.

 

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Beinahe hätten wir aber auf dem Rückweg nach Tallinn einen Fehler gemacht. Während wir auf die Bahn warteten, kam ein Bus am Bahnhof an, den wir quasi in letzter Minute als Schienenersatzverkehr identifizieren konnten. Die S-Bahn-Strecke wird nämlich gegenwärtig komplett saniert. Das sahen wir unterwegs auf der Hinreise und das sieht man auch an den zauberhaft sanierten Bahnhöfen. Ganz anders als in Deutschland werden hier Bahnlinien offenbar nicht für Höchstgeschwindigkeiten optimiert, sondern mit bemerkenswerter denkmalpflegerischer Mühe für die Menschen erhalten. Hier das Bahnhofsgebäude von Paldiski

 

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Was gibt es sonst noch zu Paldiski zu sagen: zwei Kirchen am Hafen haben die Turbulenzen von Krieg und Sowjetzeiten überlebt. Es gibt wieder viel, viel streng bewachten Stacheldraht. Diesmal zum Schutz der wertvollen Güter, die im Hafen umgeschlagen werden. Neue Grenzen am Rande der EU nach dem Ende des Sperrgebietes. Und am Bahnhof fanden wir einen Gedenkstein mit frischen Blumen zur Erinnerung an ca. 2.400 Menschen, die von dem Hafen mit der Eisenbahn in den Jahren zwischen 1944 und 1949 nach Sibirien transportiert wurden.

 

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Eine Kirche am Rande des Hafengeländes.