19.10.17

Heute war endlich mal wieder ein produktiver Tag. Sechs Porträts habe ich geschafft. Zuerst waren wir in einer von zwei Indern betriebenen Fabrik für Teefabrikausrüstungen. Hätte diesen Ort je ein deutscher Arbeitsschutzinspektor betrieben, er wäre vor Ablauf eines Jahres nicht wieder rausgekommen, so lange hätte er zu tun, diverse Mängellisten auszufüllen. Aber supernette Leute, Sikhs, mit Turban und Studium in England.

Dann waren wir eigentlich um 10 h mit dem Gründer von Chandarana Records verabredet. Noch mal schnell in die Kaufhalle Verpflegung und Wasser holen und ein Porträt vom Schneider nebenan. Grad will dieser Mr. Chandarana anrufen, hält auch schon ein Wagen, der den Gesuchten ankarrt. Es dauert dann noch mal 10 Minuten, bis der alte Herr sämtliche Schlösser und Riegel seines Ladens auf hat, dann trete ich ein.

Arvindkumar P. Chandarana ist 81, fast taub, fast blind und hat 1958 das Plattenlabel „Chandarana Records Ltd“ gegründet, eines der ältesten in Kenia. Wird den meisten nichts sagen, aber es ist ein weltbekanntes Label für afrikanische Musik. Fast alle berühmten kenianische Musiker und auch viele aus den Nachbarstaaten haben bei Mr. Chandarana produziert. Mehrere tausend Singles wurden gepresst, bis 2008 die Vinylproduktion eingestellt wurde. „Music is dead“ sagt er, als ich mich als großen Musikfan vorstelle. Ich kaufe 4 CDs, lasse mir einfach seine Favoriten einpacken, er spielt zwei kurz an und ich bin ziemlich angefixt… Ich frage nach Jazz, er sagt „There is no Jazz in Africa. People with two guitars are no Jazzmen.“ Sein Neffe hilft im Laden mit, Vinyl ist leider nicht mehr zu haben. Als ich erzähle, dass in Deutschland gerade wieder ein Presswerk eröffnet hat, kann er das kaum glauben. Inzwischen ist auch der nervige Typ, Apollo von der Stadtverwaltung, eingetroffen. Er quakt den alten Herrn wichtigtuerisch voll, dann bitte ich ihn wegen der Bilder aus dem Laden. Als ich den Ort verlasse, bin ich noch ganz ergriffen von dem Gefühl, einer wahren Legende begegnet zu sein. Wer weiß, ob ich diesen Menschen je wiedersehe.

Dann fahren wir in eine 20 km entfernte Teefabrik, in der ausnahmsweise nicht gestreikt wird. Es steht eine Besichtigung an und wir müssen weiße Kittel überziehen. Der Wichtigtuer quakt, er hätte eine Verabredung mit dem Chef, keiner weiß was davon. Noch nie habe ich eine Teefabrik von innen gesehen. Von der Anlieferung der Blätter bis zur Verkostung hat uns die junge Qualitätsmanagerin alles erklärt. Ich werde gelobt, als ich bei der Verkostung auf Anhieb die beste (teuerste) Sorte erkenne. Fotografieren darf ich nicht in der Fabrik, aber ein Porträt vom Manager darf ich immerhin auf dem Hof machen mit der Fabrik im Hintergrund. Dann kaufe ich noch einen Packen Tee und wir fahren weiter.

Der Wichtigtuer will noch einem Alten Mann eine Spende vorbeibringen, ein Fresspaket von der Stadtverwaltung. Ich erkläre, dass ich nicht fotografieren möchte, out of topic und auch nicht mein Ding, wehrlose Alte abzuschießen, die bestimmt „Ja“ sagen, aber eigentlich nicht so recht verstehen, was ich dann mit dem Bild mache. Auch nervt es mich, das Apollo mir ständig irgendwelche lokalen Berühmtheite, Marathonläufer z.B vorstellen will, die mich aber nicht interessieren.

Was dann folgt, ist ein Ausflug in die Steinzeit. Eine Rundhütte mit offenem Feuer, roh aus Ästen zusammengezimmerte Pritschen, Lehmboden, Lehmwände, Fenster ohne Scheiben. Darauf ein magerer Herr, der 107 Jahre alt ist und sich kaum erheben kann, dem Wichtigtuer aber die Hand küsst, als der das Fresspaket auspackt. Als ich erkläre, dass ich aus Deutschland komme, mustert er mich. „Deutschland kenne ich“ sagt er. „Ich war dort als Soldat im 2. Weltkrieg.“ So wird mir das zumindest übersetzt. Noch nie zuvor bin ich einem derart alten Menschen persönlich begegnet.

Auf dem Weg zurück nach Kericho will ich unbedingt noch einen Teebauern fotografieren. Ich habe Glück, denn gerade wird neben einer Plantage Tee abgewogen und aufgeladen. Die Pflücker müssen ihre Säcke zunächst leeren, es wird nach Mogeleien, wie z.B. Steinen gesucht, dann wird der Tee in Säcke verpackt.

Der Plantagenbesitzer erklärt mir, dass wegen der guten Ernte die Preise unverschämt niedrig sind. Er kann seine Familie ernähren, hat ab und zu mal einen Saisonarbeiter. Die Bauern habe eine Art Genossenschaft, die eine Teefabrik betreibt. Er verkauft aber auch an andere Fabriken.

Wir fahren durch eine sehr schöne, leider wolkenverhangene Landschaft. Apollo der Wichtigtuer wird in der Stadt abgesetzt. Uffz.

Gestern hatte ich mich beim Toyota-Autohaus neben dem Hotel, einem nigelnagelneuen Glaspalast, angekündigt. Ich warte eine Stunde bis die Besitzerin kommt. Es ist eine Frau um die 40, indische Wurzeln, perfektes akzentfreies Englisch. Als erstes macht sie mit mir eine Betriebsbesichtigung. Der Laden ist pico bello aufgeräumt und weitgehend digitalisiert. Bald, sagt sie, kann der Kunde im Foyer an einem Monitor die Fertigstellung seines Reparaturauftrages verfolgen. An jedem Arbeitsplatz werden Tablets installiert, auf denen sich die Arbeiter für Werkzeugentnahmen und die Erledigung einzelner Aufträge einloggen müssen. Die entsprechende Software kann sie mir schon vorführen. Ich bin begeistert. Nebenbei erzählt sie, dass sie mehrere Häuser gebaut hat und demnächst mit dänischen Investoren in Kenia eine Art IKEA hochziehen will. Wir reden fast drei Stunden, gucken Bilder an, Wohnung, Firma, Familie. Für das Porträt sind wir morgen früh verabredet, denn dafür will sie sich schick machen. Sie nimmt mich aber noch mit ihrem gigantischen SUV mit zu einem holländischen Blumenfarmer. Der hat mehrere Kartons mit Pflanzen für ihren Hausgarten zusammengestellt, und auch ihn, Eric, darf ich noch porträtieren. Eric lebt seit 20 Jahren in Kenia, hat ein fantastisches Landhaus und exportiert Blumen in 73 Länder. Entsprechend bilderbuchmäßig sieht sein Garten aus.

Am Freitag geht es nach dem Toyotaporträt weiter in den Norden. Aber nicht in die Gegend, in der gerade eine Malariaepidemie tobt, sondern auf 3.000 m Höhe nach Njadahururu. Vorher muss ich dem armen Gregory, der hier tapfer im kurzärmligen Hemd rumspringt, noch einen Pullover kaufen.